Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
bereits den größten Teil der Strecke nach Philadelphia zurückgelegt. Sie mussten einen sicheren Treffpunkt vereinbaren. Consular Operations würde nicht rasten, bis er gefasst war.
Melde dich endlich!
Er hatte ihr so viel zu erzählen. Auf der Route 95 fuhr er nach Norden.
In Gedanken war er immer wieder bei seiner haarsträubenden Flucht aus dem Hart Senate Office Building. Die Meldung im Autoradio, in mehreren Washingtoner Regierungsgebäuden hätten »Sicherheitsübungen« stattgefunden, um Schwachstellen aufzuspüren und zu beseitigen, überraschte ihn nicht. »Touristen und Besucher von Senatsgebäuden waren sprachlos, als sie ohne Vorwarnung in eine Alarmübung von Nationalgarde und Secret Service gerieten«, fügte der Nachrichtensprecher mit einem kleinen Lachen an. »Sie sind buchstäblich überrumpelt worden, könnte man sagen.« Nur eine von tausend amtlichen Lügen, dachte Belknap, die von der harmlos gewordenen Journalistenzunft gutgläubig geschluckt und wiedergegeben wurden.
Auf dem nächsten Rastplatz drückte er nochmals die Kurzwahltaste, um Andrea anzurufen. Schließlich verstummte das rhythmische elektronische Klingelzeichen; er hörte ein Klicken, dann schien die Verbindung hergestellt zu sein. »Andrea!«, rief er erleichtert aus. »Ich hab mir solche Sorgen gemacht!«
»Kein Grund zur Sorge«, antwortete eine Männerstimme am anderen Ende.
Belknap war wie vor den Kopf geschlagen. »Wer … wer sind Sie?«
»Wir sind Andreas Betreuer.« Sein Akzent war merkwürdig undefinierbar; nicht amerikanisch oder englisch, aber auch nicht eindeutig ausländisch.
»Was haben Sie mit ihr gemacht, verdammt noch mal?«
»Nichts. Bisher.«
Nicht schon wieder! Seine überreizten Nervenenden schienen zu kreischen.
Wie hatten diese Leute Andrea aufgespürt? Sie waren nicht beschattet worden. Das wusste er sicher. Niemand hatte auch nur versucht …
Weil das nicht nötig war. Er dachte wieder an den rätselhaften Bluterguss an ihrer rechten Hüfte, das harte, rote Hämatom, die Einstichwunde, und machte sich Vorwürfe, weil er die Sache nicht zu Ende gedacht hatte. Ihre Entführer hatten es nicht nötig gehabt, ihr dort eine Spritze zu geben. Sie brauchten auch keine dicke Nadel, nur um eine Flüssigkeit zu injizieren.
Die Erklärung hätte auf der Hand liegen müssen: Man hatte ihr etwas tief ins Gewebe ihrer Hüfte implantiert. Einen winzigen kapselförmigen Transponder, der ständig ihren Standort übermittelte.
»Reden Sie mit mir!«, verlangte Belknap. »Warum haben Sie sie verschleppt?«
»Sie waren rücksichtslos. Genesis hat entschieden, dass wir uns um sie kümmern sollen. Sie waren lästig, wissen Sie – und sie natürlich auch.«
»Sagen Sie mir, dass sie lebt!«
»Ja, sie lebt. Aber sie wird sich bald wünschen, sie wäre tot. Wir werden ein paar Tage brauchen, um sicherzugehen, dass wir alles aus ihr rausgekriegt haben, was wir wissen müssen.«
Eine weitere Stimme aus dem Hintergrund. »Todd! Todd!« Eine angstvoll schrille Frauenstimme.
Andreas Stimme.
Plötzlich verstummte das Kreischen. »Krümmen Sie ihr auch nur ein Haar«, grollte Belknap, »drehe ich Ihnen …«
»Schluss mit Ihren leeren Drohungen. Genesis finden Sie niemals. Das gilt auch für sie . Ich schlage vor, dass Sie sich ein stilles Plätzchen suchen, um über Ihre eigene Arroganz nachzudenken. Vielleicht an einem Grab am Anacostia River. Bestimmt glauben Sie, Unglück in der Liebe zu haben. Aber denken Sie daran, Mr. Belknap, jeder ist seines Glückes Schmied.«
»Wer seid ihr Leute?« Belknap hatte das Gefühl, auf seiner Brust liege eine tonnenschwere Last. Er rang nach Atem. »Was wollt ihr?«
Ein trockenes, tonloses Lachen. »Der Spürhund soll parieren lernen.«
»Was?«
»Vielleicht melden wir uns mit weiteren Anweisungen wieder.«
»Passen Sie auf«, sagte Belknap schwer atmend. »Ich werde Sie finden. Ich werde Sie aufspüren. Dann müssen Sie sich für alles verantworten. Merken Sie sich das!«
»Wieder leere Drohungen eines dreibeinigen Köters. Sie verstehen noch immer nichts. Diese Welt gehört Genesis. Sie leben nur darin.« Ein Herzschlag. »Zumindest noch vorläufig.«
Damit beendete Andreas Entführer die Verbindung.
Andrea öffnete die Augen und sah Weiß, nichts als Weiß. Sie hatte pochende Kopfschmerzen. Ihr Mund war ausgedörrt. Ihre Augen waren verklebt.
Wo war sie?
Sie sah überall nur Weiß. Einige lange Augenblicke später erschien ihr das Weiß jedoch weniger
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