Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
grau-braune Plätzchen an, das einsam auf dem Keramikteller lag, und tauchte einen Finger in die sandigen Krümel des anderen. »Wäre das … gefährlich?«
»Jetzt mal ganz ehrlich, Walt«, sagte der Agent. »Hoffen Sie, dass ich Nein oder dass ich Ja sage?«
»Was Sie sagen, ist egal«, behauptete Sachs mürrisch, »weil ich’s ohnehin nicht tue. Ich denke nicht einmal darüber nach.«
»Ich wollte, Sie täten’s doch. Weil ich den Absender dieser E-Mail finden muss.«
»Und warum das?«
»Aus vielen Gründen.« Belknap starrte den Computerguru durchdringend an, dann traf er seine Entscheidung. »Hier ist einer«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Als ich gesagt habe, mit Andrea sei alles in Ordnung, habe ich gelogen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ihr geht’s nicht gut. Sie ist entführt worden. Und dies ist vermutlich unsere einzige Chance, sie zu befreien.« Das würde Sachs endgültig verprellen oder ihn zum Mitmachen veranlassen. Wer nicht würfelt, ist nicht im Spiel .
»Großer Gott!« Echte Anteilnahme kämpfte gegen Angst und Selbsterhaltungstrieb an. Seine schon geröteten Augen röteten sich noch mehr. »Die Sache ist also irgendwie real.«
»Walt«, sagte der Agent. »Sie müssen sich entscheiden. Ich kann nur sagen, dass sie Sie braucht.«
»Wie sieht die Story also aus? Sie kriegen den Absender raus, Sie holen Andrea zurück, alles ist wieder in Butter, was?« Er griff mit zitternden Fingern nach dem Johannisbrot-Plätzchen und ließ es wieder auf den Teller fallen.
»Kommt darauf an«, sagte Belknap. »Machen Sie mit oder nicht?«
Roland McGruders Apartment in der New Yorker West 44 th Street – fünfter Stock, ohne Aufzug – lag in einem Viertel, das »Hell’s Kitchen« hieß, bevor Immobilienmakler beschlossen, »Clinton« sei verkaufsfördernder. Es war wie eine Huldigung an die beengten Theatergarderoben, in denen er seine Kunst ausgeübt hatte, übervoll und unaufgeräumt. Freunden erklärte er oft entschuldigend, er sei schließlich kein Bühnenbildner.
Den Ehrenplatz nahm der Sockel mit dem Tony Award ein, den er fürs beste Make-up für eine Theaterproduktion bekommen hatte. Ganz in der Nähe stand ein signiertes Foto von Nora Norwood, der seiner Meinung nach besten Musicalsängerin seit Ethel Merman. Meinem liebsten Roland, hatte sie in ihrer runden Kinderschrift geschrieben, der mich so aussehen lässt, wie ich mich fühle. Immerwährenden Dank! Ein weiteres gerahmtes Foto, diesmal von Elaine Stritch, trug eine ebenso überschwängliche Widmung. Das hatte zu den Grundsätzen der alten Garde gehört: Freunde dich mit den Maskenbildnern an, dann lassen sie dich immer gut aussehen. Aber viele der jüngeren Diven konnten unmöglich sein: herrisch, kalt, sogar rüde, indem sie Roland wie irgendeinen Kerl mit einem Besen behandelten. Wegen dieser Einstellung hatte er mit der Arbeit beim Film ganz aufgehört.
There’s no people like show people, hieß es in dem alten Song. Aber Roland hatte auch viel mit Leuten gearbeitet, die nicht aus
dem Showbusiness kamen. Sie hinterließen keine signierten Fotos. Stattdessen musste er alle möglichen langatmigen Geheimhaltungsverpflichtungen unterschreiben. Aber sie erwiesen sich auf andere Weise dankbar, nicht zuletzt durch Honorare, die recht lukrativ waren, wenn man berücksichtigte, wie gering der Arbeitsaufwand war. Alles hatte vor einigen Jahren angefangen, als er ein paar Geheimagenten in der Kunst der Maske unterrichtet hatte. Obwohl Roland sehr diskret war, war er offenbar durch Mundpropaganda bekannt geworden. Jetzt kam ab und zu ein unangemeldeter Besucher mit Sonderwünschen und einem dicken Geldumschlag vorbei. Manche von ihnen waren im Lauf der Zeit fast Stammkunden geworden.
Wie der Kerl, den er jetzt zurechtmachte. Über eins achtzig groß, regelmäßige Züge, graue Augen. Aus Rolands Sicht ein im Prinzip unbeschriebenes Blatt.
»Ich kann aus Wachs künstliche Zähne machen, die auf die oberen aufgesteckt werden«, erklärte Roland ihm. »Wirklich schade um einen gut aussehenden Kerl wie Sie. Aber das verändert die Gesichtsform ziemlich dramatisch. Wie wär’s mit blauen Augen?«
Der Mann zeigte ihm seinen Reisepass. Er war auf den Namen HENRY GILES ausgestellt und bestimmte, dass der Inhaber braune Augen hatte. »Halten Sie sich ans Drehbuch«, verlangte er.
»Gut, dann braune Augen, kein Problem. Um sie herum kann ich eine dünne Latextinktur auftragen, die sich etwas kräuselt – sieht natürlich
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