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Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Titel: Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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hast vorhin von perversen Folgen gesprochen, Andrea. Das ist in der Tat ein kompliziertes Thema. Akzeptiert man nämlich die Logik der Folgerichtigkeit – die Idee, dass Handlungen nach ihren Folgen beurteilt werden müssen –, erkennt man bald, dass die Rätsel sich nicht auf gute Taten beschränken, die schlimme Folgen haben. Wir müssen uns auch mit dem Paradoxon auseinandersetzen, dass böse Taten gute Folgen haben können.«
    »Schon möglich«, bestätigte Andrea nachdenklich. »Aber es gibt Taten, die für sich allein abscheulich sind. Ich meine, es ist unmöglich, sich beispielsweise vorzustellen, aus der Ermordung von Martin Luther King jr. könnte irgendetwas Gutes erwachsen.«
    Paul Bancroft zog die Augenbrauen hoch. »Ist das eine Herausforderung?«
    »Das ist nur meine Meinung.«
    Der Gelehrte trank einen kleinen Schluck Wein. »Also, ich bin Dr. King früher mehrmals begegnet. Die Stiftung griff ihm in einigen kritischen Situationen finanziell unter die Arme. Er war ein wahrhaft bemerkenswerter Mann. Sogar ein großer Mann, meine ich. Aber nicht ohne gewisse persönliche Fehler. Kleine Fehler, unbedeutende Macken, aber doch Dinge, die seine Feinde hätten gegen ihn verwerten können. Das FBI war stets bereit, herabsetzende Berichte über persönliche Indiskretionen zu lancieren. In seinen letzten Jahren hat er vor schrumpfendem Publikum gepredigt, war in eine Abwärtsspirale geraten. Durch seinen Tod ist er zu einem mächtigen Symbol geworden. Hätte er noch länger
gelebt, wären sein Einfluss und seine Bedeutung weiter geschwunden. Seine Ermordung hat die Menschen wach gerüttelt. Sie hat als Katalysator für die juristische Vollendung der Bürgerrechtsrevolution gewirkt. Entscheidend wichtige Gesetze zur Beendigung der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sind erst im Anschluss an dieses tragische Ereignis verabschiedet worden. Viele Amerikaner waren damals zutiefst erschüttert, und Amerika hat sich in der Folge zum Besseren verändert. Würdest du sagen, der Tod dieses Mannes sei eine Tragödie gewesen, würde ich dir zustimmen. Aber dieser eine Tod hat weit mehr bewirkt als viele Leben.« Der alte Philosoph sprach hypnotisierend eindringlich. »Haben seine positiven Konsequenzen ihn denn nicht mehr als gerechtfertigt?«
    Andrea legte ihre Gabel weg. »Vielleicht bei kalter Berechnung …«
    »Wieso kalt? Ich werde nie begreifen, weshalb die Leute die Berechnung möglicher Folgen als ›kalt‹ einstufen. Auch wenn die Verbesserung der Lebensumstände der Menschheit abstrakt klingt, betrifft sie doch Verbesserungen für einzelne Männer, Frauen und Kinder – jeder mit einer Geschichte, die einem das Herz zerreißen und in der Seele wehtun könnte.« Das leichte Zittern in seiner Stimme kündete von Entschlossenheit und Überzeugung, nicht von Zweifeln oder Zaghaftigkeit. »Denk daran, dass auf diesem kleinen Planeten sieben Milliarden Menschen leben. Und zwei Komma acht Milliarden von ihnen sind unter vierundzwanzig. Es ist ihre Welt, die wir erhalten und verbessern müssen.« Der Gelehrte sah zu seinem Sohn hinüber, der seinen Teller mit dem Heißhunger eines Heranwachsenden bereits leer gegessen hatte. »Und das ist eine moralische Verpflichtung, wie man sie sich schwerer kaum vorstellen kann.«
    Andrea konnte den Blick nicht von ihm wenden. Der Mann sprach mit durchdringender Logik, und sein Blick war so klar wie seine Argumentation. Die Gewalt seiner Überzeugungen
und die geschmeidige Kraft seines Verstands hatten etwas Magisches an sich. Die Gestalt des Zauberers Merlin in der Artussage musste ein ähnliches Vorbild gehabt haben.
    »Dad wirft gern mit Zahlen um sich«, sagte Brandon, dem die eindringliche Art seines Vaters vielleicht etwas peinlich war.
    »Das nüchterne Licht der Vernunft sagt uns, dass der Tod eines Propheten oft ein Segen für die Menschheit sein kann. Rottet man andererseits zum Beispiel die Sandflöhe auf Mauritius aus, entdeckt man unter Umständen schlimme Spätfolgen. In beiden Fällen ist der Unterschied, den wir zwischen ermorden und sterben lassen machen, eine Art Aberglaube, findest du nicht?« Paul Bancroft wartete ihre Antwort nicht ab. »Ob unser Tun oder Unterlassen den Tod verursacht, ist aus der Sicht des oder der Betroffenen egal. Stell dir eine Straßenbahn vor, die ungebremst eine Gefällestrecke hinunterrast. Bleibt sie auf dem jetzigen Gleis, wird sie fünf Menschen überrollen und töten. Stellst du dagegen eine Weiche um, tötet sie nur einen

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