Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
nicht weiterzureden. Daraufhin er: Warten Sie einen Augenblick! Ich zähle im Stillen: Eins Mississippi, zwei Mississippi … Und er hat nachgegeben. Kannst du dir das vorstellen? Er hat nachgegeben! New York, lass einen Riesenapplaus hören für … Lukas!«
»Hör zu, Ari«, sagte Lukas mit einem unbehaglich flauen Gefühl im Magen. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich …«
Ari Sanders überfuhr ihn mit seiner gewohnten manischen Energie. »Du bist ein Heiliger! Ein gottverdammter schottischer Heiliger! All diese Wohltätigkeitskonzerte, die du in den letzten drei Jahren gegeben hast … ich meine, ich kriege feuchte Augen, wenn ich daran denke. Alle diese Witwen und Waisen, denen du geholfen hast. Das macht mich demütig. Es macht mich demütig . Dein Kinderkreuzzug? Eine wahrhaft begeisternde Sache. Wie Time gesagt hat, hat niemand mehr getan, um die Aufmerksamkeit
der Welt auf die Ärmsten unter uns zu lenken. Ein Rockstar mit sozialem Gewissen – ich meine, wer hätte das gedacht? Aber, Lukas?«
»Yeah?«
»Genug ist genug . Gewiss, man muss die Witwen und Waisen lieben. Aber das Geheimnis des Lebens ist Ausgewogenheit. Du musst zeigen, dass du die Horden von Lukas-Fans dort draußen liebst. Und du musst dem kleinen Ari Sanders, der sich tagtäglich an der Front den Arsch für dich aufreißt, deine Liebe beweisen.«
»Zwanzig Prozent von allem sind plötzlich nicht mehr genug?«
»Tritt dort auf«, sagte Ari. »Ich habe heute Geschichte gemacht. Ich habe sie für dich gemacht. Achtzig Prozent der Einnahmen – so viel kriegt nicht mal der Papst.« Er machte eine Pause, um tief durchzuatmen. »Andererseits … wie viele Grammy Awards hat der schon bekommen?«
»Okay, ich denke darüber nach«, sagte Lukas mit schwacher Stimme. »Aber die nächsten Benefizkonzerte sind fest eingeplant, und ich …«
»Na schön, dann sind sie in Ouagadougou einen Tag lang enttäuscht. Du musst deine Planung umwerfen. Dieses Angebot kannst du unmöglich ablehnen.«
»Ich … ich melde mich wieder.«
»Jesus, Lukas, du redest, als hielte dir jemand eine Pistole an den Kopf!«
Lukas trennte die Verbindung. Er merkte, dass er feuchte Hände hatte.
Im nächsten Augenblick erklang der Jimi-Hendrix-Klingelton seines Handys. »Lukas«, meldete er sich.
Wieder die Stimme, die er nur allzu gut kannte: elektronisch verzerrt, auf unheimliche Weise jeder Menschlichkeit, jedes Ausdrucks beraubt. »Halten Sie sich an den Plan«, befahl ihm
die Stimme. Könnte eine Echse sprechen, dachte Lukas, würde ihre Stimme so klingen.
Er schluckte angestrengt und hatte das Gefühl, in seiner Kehle stecke ein Kieselstein. »Hören Sie, ich habe alles getan, was Sie …«
»Denken Sie daran, dass wir den Videofilm haben«, sagte die Stimme.
Der Videofilm. Der gottverdammte Videofilm. Die Kleine hatte geschworen, sie sei siebzehn. Wie hätte er ahnen können, dass sie sich um drei entscheidende Jahre älter gemacht hatte? So war es Unzucht mit einer Minderjährigen gewesen. Eine Straftat. Tödlich für seine Werbeverträge, seine Karriere, seinen Ruf, seine Ehe. Daran brauchte Lukas nicht erinnert zu werden. Es gab Musiker – vor allem solche, die bewusst ein Bad-Boy-Image kultivierten –, die eine solche Enthüllung überstanden hätten. Aber das war nicht seine Art. Dazu kam, dass manche ihm schon moralisierendes Pharisäertum vorgeworfen hatten: Diese Leute würden sich auf die kleinste Schwäche stürzen. Und wenn er vor Gericht gestellt würde? Er sah die Schlagzeilen schon vor sich: LUKAS MUSS SICH VOR GERICHT VERANTWORTEN. ROCKSTAR ALS KINDERSCHÄNDER IN HAFT. ORGANISATOR DES KINDERKREUZZUGS WEGEN KIDDIE-SEX ANGEKLAGT.
Vielleicht gab es Leute, die das überleben konnten. Lukas gehörte auf keinen Fall dazu.
»Okay«, sagte er, »ich habe verstanden.« Was ihn am meisten ängstigte, war die Schnelligkeit, mit der dieser Anruf auf sein Gespräch mit Ari gefolgt war. Offenbar wurden alle seine Telefonate abgehört – und das schon seit drei Jahren. Tatsächlich konnte er nur vermuten, wie stark sein ganzes Leben von diesen gesichtslosen Manipulatoren überwacht wurde. Sie schienen unbegrenzt viel über ihn zu wissen – wer auch immer »sie« sein mochten.
»Halten Sie sich an den Plan«, wiederholte die Stimme. »Tun Sie das Rechte.«
»Als ob ich die Wahl hätte«, erwiderte Lukas mit zitternder Stimme. »Als ob ich die gottverdammte Wahl hätte.«
DUBAI, VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE
Die Skyline erschien wie aus
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