Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
dass der Betonboden regelmäßig mit Wasser abgespritzt und offenbar mit einem wirksamen Desinfektionsmittel behandelt wurde. Schweine in großen Zuchtbetrieben wurden oft besser gehalten.
Der Mann mit dem Dolch am Gürtel funkelte ihn nicht sehr wirkungsvoll an und sagte etwas auf Arabisch. Belknap gab keine Antwort. Er trat einen Schritt näher und sagte mit starkem Akzent auf Englisch: »Sie sind am falschen Ort. Sie müssen jetzt gehen.« Es war klar, dass er das Funkgerät an seinem Gürtel – seine Fähigkeit, Unterstützung anzufordern – für seine eigentliche Waffe hielt.
Belknap ignorierte den Dicken, sah sich weiter um. Dies war eine Art Hades, eine Unterwelt, die nur wenige ihrer Bewohner jemals wieder verlassen würden, zumindest nicht mit heiler Seele. Von den Dutzenden von Jugendlichen, die hier gefangen gehalten wurden, waren nur wenige über fünfzehn, vermutete er. Die meisten schienen nicht älter als zehn bis zwölf Jahre zu sein. Und jeder verkörperte eine Alltagstragödie.
Trotz der Hitze war ihm plötzlich kalt. Er hatte ein Heldenleben geführt, mit Waffen und seiner Ausbildung als Spion wagemutige Taten vollbracht – aber welchen Wert hatte das alles angesichts solcher Schrecken? Angesichts bitterer Armut, die Kinder in solche Einrichtungen zwang und sie dafür dankbar sein ließ, dass sie sich wenigstens den Bauch vollschlagen konnten? Denn es gab keine Demütigung schlimmer als Armut, keine Erniedrigung schlimmer als Hunger.
»Ich sage, Sie müssen gehen!«, wiederholte der Dicke mit dem schlechten Knoblauchatem.
Aus einer Gruppe von ernsten Mädchen von vierzehn oder fünfzehn Jahren kam ein halblauter Ruf, und der Mann drehte sich um und funkelte sie finster an. Er schwang seinen Dolch und brüllte Flüche in allen möglichen Weltsprachen. Offenbar hatte eines der Mädchen gegen die Hausordnung verstoßen. Er drehte sich jetzt wieder nach Belknap um und behielt den Dolch in seiner Hand.
»Erzählen Sie mir von der jungen Italienerin«, verlangte Belknap.
Der Aufseher glotzte ihn verständnislos an. Für ihn waren die Mädchen nur lebendes Inventar; er unterschied lediglich ganz grob zwischen ihnen. »Gehen Sie!«, blaffte er und trat noch einen Schritt näher.
Als der Mann nach dem Funksprechgerät griff, riss Belknap es ihm aus seiner fetten Hand. Anschließend rammte er ihm die steif gehaltenen Finger seiner Rechten in die weiche Kehle. Der Mann sackte zusammen und fasste mit beiden Händen hilflos nach seinem rasch anschwellenden Kehlkopf. Belknap trat ihm mit einem schweren Schuh kräftig ins Gesicht. Der Dicke blieb bewegungslos liegen; er atmete weiter flach, war aber bewusstlos.
Dutzende von Blicken waren auf Belknap gerichtet, als er sich umdrehte: weder anerkennend noch tadelnd, sondern nur neugierig darauf, was er als Nächstes tun würde. Sie hatten etwas Schafsartiges an sich, und er musste sich beherrschen, um darauf nicht mit Verachtung zu reagieren.
Er wandte sich an ein Mädchen, das am ehesten in Lucia Zingarettis Alter zu sein schien. »Kennst du eine Italienerin? Ein Mädchen namens Lucia?«
Das Mädchen schüttelte benommen den Kopf. Sie wich nicht vor Belknap zurück, sah ihn aber auch nicht an. Sie wollte nur
diesen Tag hinter sich bringen. Für jemanden wie sie war bloßes Überleben schon ein Erfolg.
Belknap versuchte es mit einem weiteren Mädchen, dann mit einem dritten, aber ihre Reaktionen waren gleich. Sie hatten unter Opfern gelernt, dass alles, was sie taten, vergebens war; diese Lektion in Hilflosigkeit war nicht leicht zu widerlegen.
Dann machte er einen Rundgang durch das Gebäude, bei dem er durch ein hohes, schmales Fenster eine Art Lagerschuppen aus Hohlblocksteinen sah, der an der hinteren Grundstücksgrenze stand. Er stürmte durch den Hinterausgang hinaus und stapfte über spärlich bewachsenen Sandboden bis zu dem kleinen Schuppen. Dort stellte er fest, dass die massive Tür sonst mit einem schweren Vorhängeschloss gesichert war – bis vor Kurzem musste hier eines gehangen haben. Die Farbe war stellenweise abgeschabt, sodass darunter blanker Stahl zum Vorschein kam. Das Metall zeigte noch keine Korrosionsspuren, also waren die Kratzer erst kürzlich entstanden.
Er trat durch die Stahltür, zog eine bleistiftdünne kleine LED-Stablampe aus der Tasche und leuchtete damit das Dunkel aus. Der Raum war eigentlich ein Lagerschuppen, der normalerweise aus Wellblech, nicht aus massiven Hohlblocksteinen gebaut worden wäre. Sein
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