Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
plausiblen Position zurückgelassen werden.
»Ist dir klar, dass wir vier Stunden zu fahren haben?«, fragte der erste Mann, der den Toten unter den Armen gepackt hielt.
»Das ist das Mindeste, was wir für ihn tun können«, antwortete sein Bruder. Gemeinsam legten sie den Toten so in den Kofferraum, dass er unterwegs nicht verrutschen konnte. Der Deckel wurde geschlossen. Navajo Blues Leiche lag um das Reserverad gekrümmt, als wolle sie es umarmen. »Schließlich ist er selbst nicht fahrtüchtig.«
Kapitel acht
Halt durch, Jared, forderte Belknap ihn im Stillen auf. Ich bin unterwegs .
Aber er konnte natürlich keiner geraden Linie folgen – aus Gründen, die Jared Rinehart besser verstand als jeder andere.
Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, hatte Jared einmal doziert, ist oft eine Parabel, an die sich eine Ellipse und dann eine Hyperbel anschließen . Damit meinte er, in der Welt der Spionage brächten Umwege und Andeutungen oft genauso gute Abkürzungen wie rücksichtslose Deutlichkeit, und seine Feststellung war eine Warnung an Belknaps Adresse gewesen. Allerdings blieb Belknap diesmal keine andere Wahl.
Das sandfarbene Gebäude war früher wohl ein Verteilungszentrum für industrielle Bauteile gewesen. Ein Stacheldrahtzaun umgab zwar das Grundstück, doch der war vor allem fürs Auge bestimmt und sollte zufällige Besucher abschrecken. Belknap fuhr mit seinem Geländewagen durch das Haupttor und parkte neben dem Gebäude. Eine heimliche Annäherung war hier nicht möglich, und er würde erst gar keine versuchen. Sie hätte nur signalisiert, dass er etwas zu verbergen hatte, dass er sich in einer Position der Schwäche befand. Hier hatten die anderen etwas zu verbergen. Belknap würde umso schneller Erfolg haben, wenn er kühn und furchtlos auftrat.
Er stieg aus, war sofort in Gluthitze eingehüllt und hastete zur nächsten Tür, bevor ihm der Schweiß ausbrach. Nicht zu dem Rolltor, das auf die Zufahrt hinausführte, sondern zu der weiß lackierten Tür links daneben. Die Tür ging nach innen auf. Seine Augen mussten sich nach der gleißenden Helligkeit im Freien an
das hier drinnen herrschende Halbdunkel gewöhnen. Er hatte gleich das Gefühl, in ein kleines Flüchtlingslager geraten zu sein.
Auf dem Betonboden des höhlenartigen, schwach beleuchteten Raums lagen Schlafsäcke und dünne Matratzen kreuz und quer durcheinander. An seiner Rückwand waren fünf oder sechs offene Duschkabinen aufgestellt, in denen Wasser aus undichten Hähnen tropfte. Hier roch es nach Essen: nach billigen Fertiggerichten aus hiesigen Schnellrestaurants. Und überall gab es Jugendliche, fast noch Kinder – Jungen, Mädchen, viele erschreckend jung. Manche saßen in Gruppen um Säulen zusammen; andere hockten zusammengesunken da, dösten, hingen ihren eigenen Gedanken nach. Eine erstaunlich internationale Crew. Manche schienen aus Thailand, Burma oder von den Philippinen zu stammen. Manche waren offenbar Araber. Einige wenige kamen aus Afrika südlich der Sahara; andere schienen indische Dorfkinder zu sein. Eine Handvoll stammte vermutlich aus Osteuropa.
Dieser Anblick überraschte Belknap nicht, trotzdem fühlte er sich davon angewidert. Junge Mädchen, kleine Jungen, alle durch Armut in sexuelle Sklaverei getrieben. Manche würden von ihren Eltern verkauft worden sein; andere waren vielleicht seit Jahren elternlos gewesen.
Langsam näherte sich ihm jetzt ein dunkelhäutiger Mann mit Hamsterbacken, der zu einem weißen Polohemd abgeschnittene Jeans trug und am Gürtel einen langen Krummdolch in einer Lederscheide und ein handliches Funksprechgerät hängen hatte. Der Mann hinkte leicht. Er war nur ein Hausmeister, ein Aufseher. Das war das Hässlichste an der Sache: Die Verbrecher, die solche Einrichtungen betrieben, brauchten kein Wachpersonal, um diese Mädchen und Jungen in Gefangenschaft zu halten; sie kamen ohne Schlösser, Gitterstäbe oder Fesseln aus. Und Belknap hätte ihnen nicht die Freiheit schenken können, auch wenn er das gewollt hätte. Die wirklichen Fesseln dieser Kinder waren
aus Armut geschmiedet. Selbst wenn sie frei durch Dubai hätten ziehen dürfen, wären sie nur in die Fänge anderer Unternehmer dieser Art geraten. Körperliche Schönheit war ihr einziger verkäuflicher Wert; alles Übrige spiegelte die unerbittliche Logik des Marktes wider.
Belknap stieg ein scharfer chemischer Geruch in die Nase, der sogar den Fäkaliengestank übertönte. Abflussrinnen ließen erkennen,
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