Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
Betonboden war staubig, aber an einigen Stellen war die Staubschicht weggewischt – ein weiteres Anzeichen für kürzliche Aktivitäten.
Er brauchte fünf Minuten, um sie zu finden.
Eine kleine Inschrift, leicht zu übersehen, ungefähr in dreißig Zentimetern Höhe an der Rückwand des Raums. Er kniete nieder und brachte seine kleine Lampe dicht an die Schrift heran, um sie entziffern zu können.
Zwei Wörter in mühsam hingekritzelten kleinen Buchstaben: POLLUX ADERAT.
Pollux war hier auf Lateinisch. Belknap stockte der Atem. Er erkannte nicht nur die fast pedantisch ordentliche Handschrift
– unverkennbar Jareds Schrift –, sondern auch noch etwas anderes.
Die Wörter waren mit Blut geschrieben.
Jared Rinehart war hier gewesen – aber wann? Und wo war er vor allem jetzt? Belknap rannte ins Hauptgebäude zurück und begann jeden, der ihm in die Quere kam, nach einem Mann, einem groß gewachsenen Amerikaner, auszufragen. Aber er stieß nur auf stumme Gleichgültigkeit.
Mit an der Stirn klebendem schweißnassem Haar ging er zum Geländewagen zurück. Jetzt rief ein kleiner Junge ihm nach: »Mister, Mister!«
Er drehte sich um und sah einen Araberjungen mit stark geschminkten Augen, der elf bis zwölf Jahre alt sein mochte, vielleicht auch jünger. Der Kleine hatte den Stimmbruch noch vor sich. Etwas für Leute mit speziellem Geschmack.
Belknap sah ihm stumm, erwartungsvoll entgegen.
»Sie fragen nach Ihrem Freund?«, erkundigte der Junge sich.
»Ja?«
Der Kleine schwieg einen Augenblick, wobei er zu dem Amerikaner aufsah, als versuche er, seinen Charakter, seine Seele zu erforschen und abzuschätzen, ob er Gefahr bedeutete oder ihm helfen konnte. »Ein Tausch?«
»Weiter, weiter.«
»Sie bringen mich in mein Heimatdorf in Oman zurück.«
»Und?«
»Ich weiß, wohin Ihr Freund gebracht worden ist.«
Das war also der Tausch, der dem Jungen vorschwebte: Informationen gegen Personenbeförderung. Aber war er zuverlässig? Ein gerissener Junge, der unbedingt in sein omanisches Heimatdorf zurückwollte, konnte rasch irgendeine wilde Geschichte improvisieren.
»Wohin?«
Der Junge schüttelte den Kopf, dass sein feines schwarzes
Haar flog. Das schwarze Augen-Make-up war vermutlich eine hiesige Spezialität. Aber sein schmales Gesicht trug einen resoluten Ausdruck, und sein Blick war ernst. Belknap würde zuvor sein Einverständnis erklären müssen.
»Sprich mit mir«, forderte Belknap ihn auf. »Gib mir einen Grund, dir zu glauben.«
Der Junge, der nur ungefähr einen Meter vierzig groß war, klopfte auf die Motorhaube des Geländewagens. »Sie haben eine Klimaanlage?«
Belknap starrte ihn prüfend an. Dann setzte er sich ans Steuer und entriegelte die Beifahrertür, damit der Araberjunge einsteigen konnte. Er ließ den Motor an, sodass sie nach wenigen Augenblicken von kühler Luft umströmt wurden.
Der Junge lächelte mit blendend weißen Zähnen, während er sein Gesicht dicht an den nächsten Lüftungsschlitz hielt. »Habib Almani – Sie kennen diesen Prinzen?«
»Prinzen?«
»So nennt er sich selbst. Ein vornehmer Herr aus Oman. Sehr reich. Großer Mann.« Der Junge machte eine Handbewegung, um beträchtlichen Leibesumfang anzudeuten. »Besitzt viel Grund in Dubai. Besitzt Läden. Besitzt eine Spedition. Besitzt eine Dau-Reederei.« Er zeigte auf das sandfarbene Gebäude. »Besitzt auch das hier. Nur weiß das niemand.«
»Aber du weißt es.«
»Mein Vater schuldet ihm Geld. Almani ist auch ein beit , ein Stammeshäuptling.«
»Also hat dein Vater dich ihm überlassen.«
Der Junge schüttelte heftig den Kopf. »Das täte mein Vater nie! Er hat sich geweigert! Darauf haben Almanis Männer seine beiden Kinder entführt. Zack, zack, schon sind wir in der Nacht verschwunden. Was kann unser Vater tun? Er weiß nicht mal, wo wir sind.«
»Und mein amerikanischer Freund?«
»Ich habe gesehen, wie er mit verbundenen Augen hergebracht worden ist – mit einem Lastwagen, der Habib Almani gehört. Sie benützen seine Spedition. Sie benützen sein Gebäude für käufliche Jungen und Mädchen. Sie brachten den großen Amerikaner wieder fort. Der Prinz weiß Bescheid, weil er alles organisiert hat!«
»Wie kommst du darauf?«
»Mein Name ist Bas. Das heißt Falke. Falken sehen viel.« Er starrte Belknap durchdringend an. »Für euch Amerikaner ist das nicht leicht zu verstehen. Aber arm bedeutet nicht dumm.«
»Da hast du recht.«
Die Route, die der Junge beschrieb, würde durch die
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