Die Bank
nicht aus.«
»Es geht nicht um das Rätsel«, erwiderte Gallo. »Ich habe so was schon früher erlebt. Wenn die Leute wissen, daß sie im Feuer hocken, erstarren sie. Sie haben so große Angst, eine verräterische Bewegung zu machen, daß sie wie paralysiert sind.«
»Dann geh doch endlich ins Bett!« schrie DeSanctis die Maggie auf dem Bildschirm an. »Mach es dir endlich gemütlich!«
»Wir haben alle unsere Gewohnheiten«, erwiderte Gallo.
Fünfzig Minuten später glitten Maggies Augen immer noch zwischen der Uhr und der Zeitung hin und her. In jeder anderen Nacht wäre sie allein schon beim Warten eingeschlafen, aber heute klopfte sie mit dem Fuß auf den Boden, um sich wach zu halten. Noch zwei Minuten, zählte sie leise mit.
DeSanctis war gereizt und schrecklich unruhig. Er schaltete die Infrarotkamera an und richtete sie auf den Wohnblock. Durch den Sucher wirkte die Welt dunkelgrün. Nur die Straßenlampen und Hausnummern glühten strahlend weiß. Wie auch die Motorhaube von Joeys Wagen, den sie nun nicht mehr übersehen konnten, obwohl er in einer Seitenstraße stand. Wenn sie die Heizung anstellen wollte, mußte der Motor wenigstens gelegentlich laufen.
»Rate mal, wer uns immer noch beobachtet«, sagte DeSanctis.
»Ich will’s nicht hören«, knurrte Gallo. Er deutete auf den Laptop. »Sieh mal, wer sich endlich bettfertig macht …«
Maggie kämpfte gegen ihre Erschöpfung an. Sie schlurfte in die Küche und tat, als wollte sie noch einen letzten Schluck Tee trinken. Aber als sie den Kopf in den Nacken legte, griff sie in ihre Schürze und ertastete die letzte Nachricht. Es war soweit. Zeit, zu handeln. Sie goß den halbvollen Becher Tee in die Spüle, aber statt in ihr Schlafzimmer zu gehen, trat sie ans Küchenfenster.
»Was macht sie denn jetzt?« fragte Gallo.
»Dasselbe, was sie schon den ganzen Tag macht. Sie spart sich die chemische Reinigung.«
Maggie beugte sich aus dem Fenster und holte Hand um Hand die letzte Ladung herein. Nach der Hälfte hielt sie inne und krümmte ihre Finger. Sie brannten plötzlich vor Schmerz. Das hatte weder etwas mit ihrer Arthritis noch mit den vielen Stunden vor der Nähmaschine zu tun. Das war allein der Streß, der seinen Tribut forderte.
»Sie wird bald zusammenbrechen«, sagte Gallo, der auf dem Bildschirm die Körpersprache der alten Frau beobachtete. »Noch eine solche Nacht übersteht sie nicht.«
»Sieh hin, du kannst sogar ihre Arme erkennen«, prahlte DeSanctis, der immer noch durch die Infrarotkamera schaute. Er klappte den LCD-Schirm an der Seite der Kamera auf, so daß Gallo zuschauen konnte. Und richtig, aus dem grünen Gebäude ragten zwei weiße Arme heraus, die wie fluoreszierende Schlangen durch die Nacht glitten.
»Was ist das für ein Zeug?« fragte Gallo und deutete auf winzige weiße Flecken auf der Wäscheleine.
»Das sind Rückstände von ihrer Berührung«, erklärte DeSanctis. »Die Leine ist so kalt, daß sie jedesmal ein thermisches Nachglühen an der Stelle erzeugt, wo sie sie berührt hat.«
Gallo musterte mit zusammengekniffenen Augen die weißen Flecken auf der Leine. Während sie von Maggie wegglitt, verblaßte jeder der weißen Punkte und erlosch schließlich.
Maggie inspizierte jedes einzelne Kleidungsstück auf der Leine. Die trockenen holte sie herein, und die nassen blieben draußen. Als sie fertig war, hing lediglich das immer noch feuchte weiße Laken draußen. Maggie musterte mit gesenktem Kopf das dunkle Fenster auf der anderen Straßenseite. Und wie zuvor sah sie Saundra Finkelstein im Schatten nicken.
Auf dem LCD-Schirm beobachteten Gallo und DeSanctis, wie Maggie die Wäscheklammern löste, unter das Laken griff und es halb umdrehte. Dank der niedrigen Außentemperaturen glühten Maggies Arme schwach unter dem feuchten Stoff. Sie steckte die Wäscheklammern wieder fest, zog noch einmal an dem Bettuch und schickte es auf den Weg. Erneut verblaßten die weißen Flecken auf der Leine wie ein horizontaler Dunst, aber diesmal blieb einer übrig. Direkt unter der Leine, wo die Wäscheklammer das Laken hielt, glitt ein weißer Komet von der Größe eines Golfballs über die Gasse und verschwand.
»Was, zum Teufel, war das?« Gallo fuhr hoch.
»Was meinst du denn?«
»Auf dem Laken! Spul das zurück!«
»Moment mal …«
»Sofort!« brüllte Gallo.
DeSanctis drückte hastig einige Knöpfe auf der Kamera, das Bild blieb stehen, und er drückte Rewind . Auf dem Bildschirm
Weitere Kostenlose Bücher