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Die Bank

Die Bank

Titel: Die Bank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
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unterschwellig höre ich den Ärger in ihrer Stimme. »Begreifst du es denn nicht, Oliver? Ich will einfach nur wissen, warum sie meinen Dad umgebracht haben!«
    Als sie die Worte ausspricht, geht mir das Beben ihrer Stimme unter die Haut und ruft mir in Erinnerung, was wir hier eigentlich machen. Ich hebe meinen Kopf und schaue in den Spiegel. Ich habe dunkle Ringe unter den Augen und schwarzes Haar, an das ich mich immer noch nicht gewöhnt habe. Und mein Bruder ist immer noch nicht aufgetaucht.
     
     

58. Kapitel
    »Was machen Sie denn hier?« Eine ältere Frau tippte Joey auf die Schulter.
    »Tut mir leid, ich suche nur einen Strumpf«, antwortete Joey, während sie rückwärts aus der Waschküche ging. Sie drehte sich zu der Frau im Flur herum. Neben ihr sah sie eine Metalltür mit der Aufschrift: Müllraum.
    »Wohnen Sie überhaupt hier?« fragte die Frau mit ihrem Wäschekorb aus Plastik.
    »Na klar«, erwiderte Joey, trat um die Frau herum und steckte ihren Kopf in den Müllraum. Es roch nach verrottenden Orangen. In der Ecke befand sich die Müllrutsche. Aber von Oliver oder Charlie war nichts zu sehen.
    »Hören Sie mir gefälligst zu! Ich rede mit Ihnen«, drohte die Frau.
    »Tut mir leid«, gab Joey zurück. »Es sind die Lieblingssocken meiner Mutter. Sie bittet mich immer, die Wäsche hier zu waschen, weil die Trockner in den unteren Stockwerken besser sein sollen …«
    »Sie sind besser.«
    »Das finde ich auch, aber jetzt ist die Socke weg, und … na ja, es war eben ihre Lieblingssocke.« Joey ließ die Frau stehen, drückte den Aufzugknopf und sprang hastig hinein, als die Türen aufglitten.
    »Ich halte die Augen offen!« rief die Frau, aber noch bevor sie den Satz zu Ende brachte, schlossen sich die Türen.
    »Es war ihr Lieblingssocken?« spottete Noreen im Ohrhörer.
    »Ach, hör auf damit. Ich hab den Job immerhin erledigt«, erwiderte Joey.
    »Klar, und wieder hast du eine neunzigjährige Rentnerin in diesem Spionagenest ausgetrickst.«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Ich sage nur, daß ich nicht verstehe, welchen Nutzen es bringen soll, irgendeinen Altenwohnpark auszukundschaften, geschweige denn den zweiten Stock und seine Waschküche, nur weil Olivers und Charlies Großmutter einmal hier gelebt hat.«
    »Erstens hat ihre Großmutter im zweiten Stock gewohnt, und den kennen sie folglich am besten, und zweitens sollte man eine Waschküche als Versteck niemals unterschätzen. Und drittens, wenn es um menschliches Verhalten geht, gibt es nur eine einzige Sache auf der Welt, auf die man sich immer und fraglos verlassen kann …«
    »Gewohnheiten«, sagten Joey und Noreen gleichzeitig.
    »Hör auf zu spotten«, warnte Joey sie, während sich die Aufzugtüren in der Lobby öffneten. »Gewohnheiten sind das einzige, was alle menschlichen Tiere gemein haben. Wir können einfach nicht anders. Deshalb fahren wir immer dieselbe Strecke nach Hause, holen uns unseren Morgenkaffee im selben Coffee-Shop …« Joey wich einer Gruppe älterer Damen mit lavendelfarbenen Jogginganzügen aus, folgte dem Zeichen zum Pool und trat hinaus. »Aus demselben Grund hat mein Dad sein Haus immer nur durch die Hintertür betreten. Er kam nie vorn herein. Ich habe das immer für einen Spleen gehalten, aber er glaubte, daß es ihm das Leben leichter machte.«
    »So entstehen alle Gewohnheiten«, unterbrach Noreen sie. »Es sind kurze Augenblicke der Kontrolle in einer Welt des blanken Chaos. Wir haben alle Angst vor dem Tod, deshalb ziehen wir alle unsere Unterwäsche an, bevor wir in die Socken steigen.«
    »Einige Leute ziehen sich aber zuerst die Socken an«, widersprach Joey, als sie den alten Mann am Pool mit den Rennergebnissen und den weißen Socken sah. »Aber wenn wir in Schwierigkeiten geraten, greifen wir auf das zurück, was uns vertraut ist.« Sie schlenderte am Pool entlang. Für die beiden Kinder, die da gerade in ihr Marco-Polo-Spiel vertieft waren, gab es keinen besseren Ort. Links von Joey zweigte ein Weg ab, der zu dem Verkaufsbüro der Apartments führte. Zu ihrer Rechten lag das Clubhaus. Im ersteren wimmelte es von Angestellten des Wohnparks. Das andere lag versteckt hinter einigen Büschen und Bäumen. Joey zögerte keinen Augenblick.
    »Sie haben sogar ein Clubhaus«, sagte sie zu Noreen, während sie an dem Heißwasser-Becken vorbeiging und dem von Bäumen beschatteten Pfad folgte. Nach zwei kurzen Wendungen war der Pool nicht mehr zu sehen. Joey warf einen Blick über ihre Schulter und

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