Die Bank
und warte darauf, daß Charlie aus den Büschen springt und mir zuruft, daß er in Sicherheit ist. Aber das tut er nicht. Trotzdem suche ich weiter nach ihm.
Gillian legt ihre Hand sanft auf meinen Nacken. »Er ist ganz bestimmt in Sicherheit«, verspricht sie.
56. Kapitel
Wäre Joey zehn Minuten früher angekommen, hätte sie die ganze Show miterleben können. Die roten Lichter der Polizeiwagen, die uniformierten Cops, die aus dem Haus liefen, Gallo und DeSanctis, die ihre hastig vorbereiteten Erklärungen abgaben: Ja, das waren wir; ja, sie sind entkommen; nein, wir kriegen das wunderbar selbst in den Griff, trotzdem vielen Dank. Aber obwohl alle verschwunden waren und nicht einmal Gallos Mietwagen irgendwo zu finden war, hätte sie das gelbschwarze Absperrband der Polizei vor Duckworths Haustür kaum übersehen können.
Joey sprang aus dem Wagen, ging geradewegs zur Tür und klopfte. »Jemand zu Hause?« Sie wollte sich davon überzeugen, daß sie allein war.
Ein Blick über die Schulter und ein schneller Versuch mit dem Dietrich besorgten den Rest. Als die Tür aufschwang, duckte sie sich und kroch unter dem Absperrband der Polizei hindurch. Die Küche war anscheinend unberührt, aber das Wohnzimmer hatte jemand vollkommen auf den Kopf gestellt. Eine Lampe war zerbrochen, der Couchtisch lag auf der Seite, und die Bücher waren aus den Regalen gefegt worden. Anscheinend hatte es einen recht kurzen Kampf gegeben, weil sich alles in einem Raum abgespielt hatte. Im untersten Fach des Buchregals stapelten sich alte Ausgaben des Magazins Wired . Joey nahm das oberste Exemplar heraus und überflog das Adressenetikett. Martin Duckworth? Der Name verwirrte sie. Auf einem Regal daneben entdeckte sie den zerbrochenen Fotorahmen mit dem Bild von Gillian und ihrem Dad. Endlich etwas Konkretes. Joey nahm das Foto heraus und steckte es in ihre Tasche.
Auf dem fahlen Teppich funkelten die Glasscherben des Mixers und hatten einen dunklen Fleck auf dem Boden hinterlassen. Joey bückte sich, um ihn genauer zu inspizieren, aber das Blut war schon getrocknet. Im Flur ging es mit dem Blut weiter, winzige Tropfen, die wie Protuberanzen von einer dunkle Sonne weggeschleudert worden waren. Je weiter sie sich vortastete, desto kleiner wurden die Flecken, bis Joey schließlich von ihnen ins Schlafzimmer geführt wurde, zu den Schiebetüren.
Von der anderen Seite der Tür starrte sie ein etwa vierjähriger kubanischer Junge in einem blauen Superman-T-Shirt an. Er hielt die Hände in den Taschen. Joey lächelte und schob die Tür vorsichtig zurück. Dabei achtete sie darauf, ihn nicht zu erschrecken. »Hast du meinen Bruder gesehen?« fragte sie freundlich.
»Bumm-Bumm!« rief er, formte mit den Fingern eine Pistole und deutete auf die Mauer zu ihrer linken. Joey drehte sich um und sah die gezackten Vertiefungen oben in dem Zement der Mauer. Ein Liegestuhl war an den Sockel gelehnt. Joey zog ihr Handy aus der Tasche und drückte eine Kurzwahltaste.
»Wie war dein Flug?« fragte Noreen.
»Hast du jemals von einem Kerl namens Martin Duckworth gehört?« fragte Joey und starrte auf das zusammengerollte Magazin.
»Ist das nicht der Bursche, auf dessen Namen das Bankkonto läuft?«
»Ja, doch laut Lapidus und den Unterlagen bei Greene lebt er in New York.«
»Gib mir fünf Minuten, dann wissen wir mehr. Noch was?«
»Du mußt auch ihre Verwandten für mich suchen«, erklärte Joey, während sie zu der Wand ging. »Charlies und Olivers … und jeden, den sie in Florida kennen könnten.«
»Boß, glaubst du nicht, daß ich das in dem Moment getan habe, als du in die Maschine nach Miami gestiegen bist?«
»Kannst du mir die Liste schicken?«
»Es gibt nur einen Namen«, erwiderte Noreen. »Aber sagtest du nicht, daß sie zu schlau wären, sich bei Verwandten zu verstecken?«
»Das hat sich geändert. So wie es aussieht, haben Gallo und DeSanctis ihnen einen Besuch abgestattet.«
»Glaubst du, daß die geschnappt worden sind?«
Joey erinnerte sich an den Blutfleck auf dem Teppich, stieg auf den Liegestuhl und fuhr mit den Fingern über die Lücke in dem Zement. Nirgendwo war Blut. »Ich kann zwar nicht für beide sprechen, aber irgendwas flüstert mir, daß wenigstens einer von ihnen entkommen ist. Und wenn er auf der Flucht ist …«
»… ist er bestimmt verzweifelt«, stimmte Noreen ihr zu. »In zehn Minuten hast du alles.«
57. Kapitel
Als ich zwölf war, habe ich Charlie einmal in der Einkaufsstraße der Kings Plaza
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