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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Weinflaschen machten die Runde. Sie lungerten immer hier rum, morgens, mittags, abends, bei Regen, bei Sonne, keiner von denen arbeitete. Pure Faulheit bei den einen, davon war er überzeugt, doch es gab auch andere hier, die gerne gearbeitet hätten, die aber keiner haben wollte. Eine alte, einsame Frau, der Rücken fast rechtwinklig gekrümmt, Wollstrümpfe an den mageren, rachitischen Beinen, kramte in einer Mülltonne. Nicht alle Menschen, die hier wie Sperrmüll abgeworfen worden waren, waren schlecht. Viele hatten nur einfach nie eine Chance gehabt. Und jetzt hatten viele von ihnen resigniert, und ihre Resignation ertränkten sie in Bier und Schnaps. Oder äußerten sie in Gewalt, wie einige der jungen Leute, indem sie aus blinder Wut heraus zerstörten.
    Er stellte das Radio an, ihm war nach lauter Rockmusik. Er fand keinen passenden Sender, legte eine Kassette ein. Unterwegs meldete sich für einen Moment das schlechte Gewissen, er drehte die Lautstärke einfach höher.

Freitag, 19.45 Uhr
    Das Telefon klingelte, gerade als David vom Parkplatz auf die Straße gefahren war. Alexander nahm den Hörer ab, meldete sich.
    »Nein, mein Vater ist gerade weggefahren … Meine Mutter? Ja, Moment, sie steht neben mir.« Er reichte den Hörer weiter zu Johanna.
    »Ja, bitte?«
    »Hier ist Manfred, Manfred Henning. Hallo, Johanna. Ich habe gerade von Alexander gehört, daß David weggefahrenist. Ich müßte ihn aber ganz dringend sprechen. Kann ich ihn irgendwo erreichen?«
    Johanna lachte kurz auf. »Tut mir leid, aber ich habe selbst keine Nummer von ihm. Er ist zur Arbeit gefahren, aber ich denke, daß er heute eine Telefonnummer mitbringt.«
    »Wo arbeitet er denn?«
    »Ach, das ist eine lange Geschichte. Ich kann jetzt am Telefon nicht so gut darüber reden, aber am besten fragst du ihn selber. Du kannst ja morgen vormittag anrufen …«
    »Neun? Oder ist neun zu früh?«
    »Nein, nein, das ist schon okay. Wir müssen morgen vormittag sowieso einkaufen gehen.«
    »Und wie geht’s sonst so?« fragte Henning.
    »Es geht. Aber ich müßte lügen, wenn ich sagen würde, daß alles in Ordnung ist. Aber du weißt ja selbst …«
    »Es tut mir leid, Johanna, aber ich persönlich glaube, daß David mit der ganzen Geschichte nichts zu tun hat, er ist einfach nicht der Typ dafür, aber es ist nun mal so, der Boß ist am Ende doch der Schuldige. Aber was erzähl ich dir da, du weißt das ja alles selbst.«
    »Hm, allerdings! Ruf morgen früh an. Sollte ich David heute noch sehen, werde ich ihm auf jeden Fall Bescheid sagen.«
    »Danke und tschüs.«
    Kommissar Henning legte auf, lehnte sich zurück. Steckte sich eine Zigarette an, inhalierte tief. Stand auf, ging ans Fenster, schaute hinunter auf die Mainzer Landstraße, die jetzt, um diese Zeit, noch immer sehr belebt war. Er schüttelte den Kopf, machte ein nachdenkliches Gesicht, drückte die halbgerauchte Zigarette aus, nahm seine Jacke vom Stuhl und verließ das Büro. Seine Schritte hallten durch den langen Gang. Er war müde.

Freitag, 20.00 Uhr
    »Sie sind pünktlich«, sagte Dr. Vabochon, an den Türrahmen gelehnt, die Arme unter der Brust verschränkt, bekleidet mit einem seidenen, dunkelroten Hausanzug, der vorne tief ausgeschnitten war und den Ansatz ihrer vollen Brüste ausgesprochen markant hervorhob. Sie war barfuß, die Zehennägel wie mit reinem Blut lackiert. Sie hielt eine Zigarette zwischen den Fingern.
    »Wir haben einen Vertrag«, erwiderte er mit einem versuchten Grinsen. Sie blieb stehen, ließ ihn an ihr vorbei eintreten. Sie duftete wie gestern nach sündigem Parfüm. Sein erster Blick galt den Fratzen an der Wand, die scheinbar jeden seiner Schritte verfolgten, als achteten sie sorgfältig darauf, daß er auch den direkten Weg in die Hölle nahm.
    »Ich hoffe, Sie haben noch nicht gegessen. Ich habe nämlich gekocht. Mögen Sie chinesische Küche?« Sie schloß die Tür, tänzelte ins Wohnzimmer.
    »Sicher. Aber jetzt habe ich noch keinen Hunger.«
    »Und warum nicht?« fragte sie etwas gereizt und nahm einen tiefen Zug an der Zigarette.
    »Weil ich eben erst gegessen habe …«
    »Hören Sie, ich will nicht, daß Sie sich vollessen, bevor Sie herkommen! Das können Sie an den andern Tagen machen.
Ich
möchte mit Ihnen essen!«
    »Augenblick, ich …«
    »Schon gut, schon gut«, sagte sie mit einer beschwichtigenden Handbewegung, »ich habe es nicht so gemeint. Ich bin nur ein wenig durcheinander, der Tag war anstrengend. Wissen Sie, ich mußte

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