Die Bankerin
weißgetünchte Gräber wären, nach außen hin schön anzusehen, aber in ihrem Innern vermodert und voller Aas. Der Vergleich mit dir fällt mir irgendwie nicht schwer.«
»Und wenn ich etwas ändern würde?«
»Was denn und wie?« höhnte Alexander. »Meinst du nicht, daß es dafür ein wenig zu spät ist? Geh du deinen und laß mich meinen Weg gehen. Wir beide zusammen, das haut nicht hin. Gute Nacht.«
»Warte, bitte!«
Alexander war bis zur Tür gegangen und stehengeblieben. David sagte: »In der Bibel steht auch etwas von Verzeihen …«
»Mag sein«, sagte Alexander und schloß die Tür hinter sich. David setzte sich auf das Bett und legte seinen Kopf in die Hände.
Samstag, 1.15 Uhr
David lag angezogen auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Noch immer standen Feuerwehr und Krankenwagen vor dem Haus, und David starrte an die nur von den kreisenden, blauen Lichtern erhellte Decke. Er versank in einem Strudel aus Selbstmitleid, spielte mit dem Gedanken, hinauszugehen und sich zu betrinken, bis zur Besinnungslosigkeit, damit er endlich Frieden hatte. Seine Schläfen pochten, und in seinem Kopf war ein gähnendes, schwarzes Loch, das ihn langsam verschlang.
Johanna kam herein, ein schwarzer Schemen, der am Fußende an David vorbeiging. Sie schaute kurz aus dem Fenster auf die Straße, dann schlug sie die Bettdecke zurück und setzte sich mit dem Rücken zu David. David wandte seinen Blick in ihre Richtung, ohne etwas zu sagen.
»Ich habe euer Gespräch mitgehört, zumindest einen Teil davon«, sagte sie und cremte ihre spröden Hände ein. »Die Tür stand einen Spalt offen. Du fühlst dich jetzt bestimmt miserabel, oder?«
»Die Wahrheit ist immer miserabel. Aber sobald ein anderer dir die Schwächen und Fehler aufzeigt, bekommt die Sache eine andere Dimension. Ich kann ihm nicht einmal böse sein, er hat recht mit allem, was er über mich sagt.«
»Nein, das hat er nicht. Er sieht alles nur aus seiner eigenen Perspektive. Er kennt nicht die Vorgeschichte, er will sie wahrscheinlich nicht einmal kennen. Ich habe vorhin überlegt, ob ich mit ihm sprechen soll, aber ich werde es zumindest vorläufig nicht tun. Er hat dich als schlechten Menschen hingestellt, und das bist du nicht. Du bist liebevoll, wenn auch ein bißchen egoistisch … Aber wer ist das nicht? Aber ich hatte niemals das Gefühl, daß du uns nicht lieben würdest. Wenn ich nur seine Gedanken lesen könnte! Ich glaube,so wie er über dich denkt, so denkt er auch über mich. David, ich liebe dich, auch wenn Alexander mit ein paar Dingen recht hat. Und du weißt genau, wovon ich spreche.«
»Ja, ich weiß es. An manchem Morgen stehe ich auf und hasse das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenstarrt. Ich frage mich, was aus mir geworden ist und warum. Ich würde lügen, würde ich behaupten, das, was Alexander gesagt hat, würde an mir abperlen wie Wasser an einer Regenhaut. Das stimmt nicht, im Gegenteil. Ich fühle mich so beschissen wie seit Jahrzehnten nicht. Von deinem eigenen Fleisch und Blut hören zu müssen, welch ein Versager du bist! Und ich kann nicht einmal richtig weinen. Früher, da hätte ich mich in mein Kissen vergraben und geheult, bis ich keine Tränen mehr gehabt hätte. Aber diese Zeiten sind vorbei, ich kann nicht mehr weinen. Die Wahrheit schmerzt, doch deswegen bleibt es immer noch die Wahrheit.«
»Du bist kein Versager, David. Es gibt für alles im Leben eine Erklärung, warum dies und jenes nicht geklappt hat …«
»Am Ende, wenn du eines Tages stirbst, fragt kein Schwein danach, warum du es zu nichts gebracht hast. Du wirst für alle entweder als Gewinner oder Verlierer in Erinnerung bleiben.«
»Komm, zieh dich aus und schlaf. Laß uns jetzt nicht über Dinge reden, auf die wir keine Antwort finden. Ich halte zu dir. Und egal, wie dreckig es uns geht, was kann wichtiger sein als unsere Liebe? Früher haben wir immer gesagt, solange wir uns lieben, so lange kann uns nichts passieren. Und Alexander ist noch jung und unerfahren. Von klein auf war er verschlossen und in sich gekehrt. Du hast nichts verkehrt gemacht. Du hast ihn fast nie geschlagen, du hast nur selten mit ihm geschimpft, und du hast ihm alle seine Wünsche erfüllt, und das immerhin mehr als fünfzehn Jahre. Als ich ihn vorhin hörte, mußte ich für einen Moment wirklich an mich halten, um nicht hereinzustürmen und ihm zu sagen, wie undankbar er ist. Ich finde wirklich, er istundankbar. Mag sein, daß er sich wieder ein tolles
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