Die Bankerin
Aber du hast uns in den Dreck gebracht. Ich bin nicht verantwortlich für dieses Haus und diese Dreckschweine da draußen. Weiß der Geier, weshalb ich in dieser Gegend leben muß, aber es ist bestimmt nicht meine Schuld. Und Mutter und Nathalie und Maximilian hätten auch was Besseres verdient. Aber dazu bist du nicht fähig, und du wirst es wahrscheinlich niemals mehr sein! Tut mir leid, aber ich habe keinen Respekt vor dir. Du hast uns einfach zu tief fallen lassen. Du hast versagt, Vater, auf der ganzen beschissenen Linie versagt! Wenn ich nächstes Jahr mit der Schule fertig bin, werde ich weggehen. Ich werde studieren; meine Noten sind gut genug, daß ich ein Stipendium bekomme. Vielleicht gehe ich nach Utah auf die Brigham-Young-Universität, ich habe mich bereits informiert. Und ich schwöre dir, ich werde es schaffen!«
»Du hältst mich also für einen Versager …«
»Kann sein! Tut mir leid, weniger für dich als für die anderen hier. Und ich sage dir noch was – das mit Thomas hat irgendwo auch was mit dir zu tun. Ich spüre es einfach. Auch wenn ich nicht weiß, was es ist oder sein könnte. Aber für alles Elend in dieser Familie gebe ich dir die Schuld!«
David neigte den Kopf zur Seite und hob die Hand. Alexander sah es, doch er rührte sich nicht von der Stelle. »Na komm schon, schlag zu, das scheint ja in der letzten Zeit eine Spezialität von dir zu sein, wenn du nicht mehr weiterweißt, einfach draufzuhauen. Aber glaub nicht, daß ich Angst habe! Nicht vor dir!«
David ließ die Hand wieder sinken. »Du bist mein Sohn, und du hast nie wirklich schlecht gelebt, und jetzt auf einmal willst du mir allein den Schwarzen Peter zuschieben?« fragte David und verengte die Augen zu Schlitzen. »Ich finde, auch du hast eine Verpflichtung mir und dieser Familie gegenüber.«
»Gar nichts habe ich! Ihr habt mich in die Welt gesetzt, und die einzige Verpflichtung, die ich habe, ist die mir selber gegenüber, mir selber zu helfen, denn von dir kann ich ja keine Hilfe erwarten. Kinder schulden ihren Eltern nichts, nichts, aber auch rein gar nichts! Kennst du Janusz Korczak? Wahrscheinlich hast du von ihm gehört. Er hat sich sein Leben lang um Kinder gekümmert, die nicht einmal seine eigenen waren, er hat sich sogar mit ihnen zusammen von den Nazis vergasen lassen, und er hat gesagt, Kinder schulden den Erwachsenen überhaupt nichts. Im Gegenteil. Du hast mich gewollt, also schuldest du mir etwas. Und nicht umgekehrt. Aber du hast nie auch nur einen Funken Liebe für mich empfunden, du hast nie …«
»Nie was?«
»Vergiß es! Ich geh jetzt zu Bett.«
»Halt«, sagte David und hielt Alexander am Arm fest. »Was habe ich nie?«
»Vergiß es! Du glaubst wohl, es wird schon alles gut werden. Aber nichts wird gut werden, nichts ist gut, und nichts wird jemals gut sein! Du liebst nur zwei Personen in diesem Haus. Die eine ist Maximilian, die andere bist du selber. Alle anderen sind dir doch scheißegal! Selbst Mutter. Und die Kirche auch. Du stinkst nach billigem Fusel, Vater! Seit einer ganzen Weile schon. Du hast dich schon ganz ordentlich an diese Gegend angepaßt. Ich bin sicher, irgendwann werde ich dich mit all den anderen Pennern hier an der Trinkhalle stehen und dich besaufen sehen. Und dann werdet ihr dreckige Witze reißen und an den Straßenrand pissen. So, jetzt weißt du’s, aber beklag dich nicht, du wolltest es ja unbedingt wissen.«
David ließ den Arm von Alexander los. Er senkte den Kopf, unfähig, seinem Sohn in die Augen zu blicken. Noch nie hatte ihm jemand die Wahrheit so unverblümt und grausam ins Gesicht geschleudert. Und doch unternahm er einen letzten, verzweifelten Versuch, die Situation zu retten.
»Ich versuche doch, unsere Lage zu verbessern. Ich arbeite nicht nur tagsüber, sondern auch nachts. Merkst du nicht, daß ich es versuche? Natürlich schuldest du mir nichts. Und doch, denke ich, sollten wir zusammenhalten. Es tut mir leid, wenn du vielleicht den Eindruck hast, ich würde dich nicht lieben. Ich tue es aber. Selbst jetzt …«
Alexander lachte auf. »Selbst jetzt, wo ich dir die Wahrheit ins Gesicht schleudere? Mein Gott, jetzt mach um Himmels willen nicht einen auf Gefühlsduselei! Ich habe dich durchschaut, und Mutter hat es auch. Du hast verspielt, Vater, du bist bankrott, nicht nur materiell, sondern vor allem in dir drin. Mir fällt da diese schöne Stelle im Matthäus-Evangelium ein, wo Christus zu den Pharisäern spricht und ihnen sagt, daß sie wie
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