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Die Barbaren

Die Barbaren

Titel: Die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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    Auch Nottr vernahm in diesem Augenblick das Geräusch von Schritten aus der Richtung der Kammer, aus der sie die Vorräte geholt hatten. Er zögerte nicht. Qu Irins Hast übertrug sich auf ihn. Der Gedanke, daß eine Tür offenstand in seiner Welt, durch die solch ein Grauen hereinkommen konnte, beflügelte ihn.
    Als er die Tür erreicht hatte und einen Blick zurückwarf, sah er ein halbes Dutzend Gestalten in silbernen Harnischen und Helmen mit blanken Schwertern in den Fäusten um den Altar laufen. Sie mußten den toten Oannon bereits gefunden haben.
    Hastig wandte sich Nottr der Felswand neben der Tür zu. Es war düster trotz des Lichtscheins aus dem Inneren des Tempels. Mehrere Atemzüge lang dauerte es, bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten und er die Vertiefung entdeckte.
    Die harten, klirrenden Schritte dröhnten auf dem steinernen Boden.
    Nottr schob mit unsicherer Hand den Stein in die Öffnung und drehte.
    Er wandte sich um.
    Einen Herzschlag lang geschah nichts, und seine Verfolger hatten die Tür fast erreicht, als sie sich endlich in Bewegung setzte.
    Nottr riß seine krumme Klinge aus dem Gürtel. Der erste seiner Verfolger stieß gegen die sich schließende Tür. Einen Augenblick sah Nottr unter dem beim Aufprall aufgeklappten Visier ein bleiches Gesicht mit leeren Augen. Er parierte die herabsausende Klinge und ging unter dem Hieb fast zu Boden. Da erfaßte die Tür Arm und Klinge und schloß sich knirschend.
    In der folgenden Stille hörte Nottr nur sein heftiges Keuchen und das Pochen seines Herzens. Mit zitternder Hand zog er den Edelstein aus der Vertiefung und wog ihn bedächtig in der Hand.
    »Der Schlüssel«, murmelte er. »Der Schlüssel zu einer anderen Welt.«
    Noch immer grübelnd erreichte er den Höhlenausgang. Es war noch dunkel. Es blieb noch ein Stück der Nacht zum Schlafen. Er fühlte plötzlich, wie müde er war. Sie würden im Tal lagern. Es gab nun nichts mehr zu fürchten.
    Den Stein, diesen Schlüssel zu Qu Irins Welt – nein, er würde ihn nicht fortwerfen. Niemand kannte seine Bedeutung. Und die Tür war geschlossen. Wenn sie erst weiterzogen, würde niemand sie wiederfinden.
    Und er, Nottr? Er würde vielleicht einst zurückkehren – mit Mythor.
    Es war ein zu großes Wunder, um es fortzuwerfen. Es mochte eine Zeit kommen, da sie Wunder brauchten.
    Als er den Stein in den Gürtel steckte, wurde ihm bewußt, daß er noch immer Helm und Kettenpanzer der Tempelwachen trug. Und die anderen wohl ebenfalls.
    Er grinste.
    Sie würden nicht ganz ohne Beute zurückkehren.

3.
    Das Gesicht schwebte über ihm.
    Es war verschwommen, so daß er die Züge nicht erkennen konnte, doch etwas Bedrohliches ging davon aus. Und wie es oft in Alpträumen ist, war ihm seine Hilflosigkeit deutlich bewußt. Er war gelähmt und krümmte sich und versuchte, nicht vorhandene Augen zu schließen, um der Bedrohung zu entfliehen.
    Langsam wurde das Oval zum Gesicht einer alten Frau, die wie ein Geist aus seinen Erinnerungen auftauchte. Ihre zerfurchten Züge, das strähnige Haar, die trüben, alten Augen, der zahnlose Mund mit den welken Lippen, die fleischlosen Wangen – er kannte diesen Geist seiner Vergangenheit. Zu viele ruhelose Nächte, zu viele Omen hatte sie ihm beschert seit ihrer Begegnung auf dem Weg in die Wildländer.
    Chipura, die Einsiedlerin.
    Er hätte nicht hören sollen, was sie ihm weissagte. All die Zweifel, all das Grübeln, wären ihm erspart geblieben in diesen langen Monaten der Schwangerschaft seiner Gefährtin.
    Stöhnend wälzte er sich herum, doch der Bann wollte nicht brechen.
    Der zahnlose Mund öffnete sich und sagte mit einer Stimme, aus der alles Leben längst entschwunden war:
    »Hüte dich am Tag der Wintersonnenwende vor dem Bösen!«
    »Jetzt«, murmelte er im Schlaf, »ist dieser Tag da…«
    »Habe ich nicht recht?« Sie lachte ein wenig schrill. »Hatte ich nicht auch recht mit Kaschkas Verrat…?«
    Plötzlich brach der Bann, und der Barbar war hellwach. Der Traum war noch lebendig in ihm, als wäre er eine Erinnerung des gestrigen Tages. Und er wußte, daß es eine Erkenntnis gewesen war, die ihn geweckt hatte.
    Eine bleierne Müdigkeit war noch immer in ihm, wie nach einem Gelage. Sollten die Vorräte aus dem Tempel…?
    Mit einemmal erinnerte er sich an seine Erkenntnis, und er spürte die Erleichterung fast körperlich.
    Dies war der Tag der Wintersonnenwende. Und sie waren dem Bösen begegnet! In Genrals Tempel!
    »Hüte dich vor dem Bösen am

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