Die Bedrohung
aber sehr wichtig: Lass dich nicht erwischen.
Für sie war es natürlich zu spät, aber Kennedy versuchte in Gedanken bestimmte Fakten zu ordnen, um die wichtigsten Geheimnisse der CIA so lange wie möglich für sich zu behalten. Sie kannte so gut wie jeden aktuellen Spion auf der Gehaltsliste der CIA – und zwar sowohl mit dem echten Namen als auch mit dem Decknamen. Im Moment waren Asien und Afrika nicht so brisant. Die größten Probleme der Gegenwart lagen im Nahen und Mittleren Osten und in Europa. Kennedy ging in Gedanken eine Liste durch, ein Land nach dem anderen, und ordnete die Mitarbeiter danach, wieviel sie für die Agency geleistet hatten. Diese Liste stellte sie sozusagen auf den Kopf, sodass diejenigen, die am wenigsten nützlich waren, ganz oben standen. Dann fügte sie die mutmaßlichen Doppelagenten hinzu, und auch jene, von denen die CIA den Verdacht hegte, dass sie auf der Gehaltsliste der Russen oder Chinesen standen.
Am allerschwersten fiel es ihr, eine solche Rangliste für ihre eigenen Spezialagenten aufzustellen – jene Mitarbeiter der CIA, die im Ausland ohne Bindung zur Agency ihre verdeckten Operationen durchführten. Gewiss waren einige wirkungsvoller als andere, aber sie waren alle ihre Landsleute. Kennedy versuchte eine solche Liste aufzustellen, doch sie kam nicht weit. Man hatte ihr damals vor vielen Jahren gesagt, dass keiner der Folter standhielt. Sie wusste, dass das stimmte, doch sie musste sich an ihre Hoffnung klammern. Sie war immer noch in Mosul, umgeben von amerikanischem Militär und befreundeten Kurden. Und dann war da noch Mitch Rapp. Der Gedanke an Mitch brachte ein Lächeln auf ihre Lippen. Er würde vor nichts haltmachen, um sie zu finden. Der Gedanke, dass er in der Stadt war, vermochte sie zumindest für den Augenblick zu beruhigen.
Einen Moment lang hatte sie fast Mitleid mit den Männern, die sie entführt hatten. Was war, wenn es sich nur um eine Bande von Milizionären aus der Gegend handelte? Wenn das der Fall war, dann hatten sie sich da auf etwas eingelassen, das ihnen über den Kopf wachsen würde. Zum ersten Mal seit dem Angriff dachte Kennedy intensiv darüber nach, wer ihre Entführer sein mochten, als sie die gedämpften Stimmen von Männern hörte. Die quietschende Holztür ging krachend auf, und Kennedy hatte das schreckliche Gefühl, dass es nun begann.
47
Imad Mukhtar hatte sich umgezogen – er trug nun einen Anzug. Auf die Krawatte hatte er jedoch verzichtet. Er stieg die alte Treppe eine Stufe nach der anderen hinunter. Die Tatsache, dass es ihnen nicht gelungen war, die Stadt zu verlassen, war es nicht, was ihm Sorgen bereitete. Er hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, dass es zu schwierig sein würde, die hundert Kilometer bis zur iranischen Grenze zurückzulegen, aber einen Versuch war es immerhin wert. Trotzdem hatten die Amerikaner viel schneller reagiert, als er gedacht hatte. Er hatte ein Vorausteam zu einer verlassenen Fabrik irgendwo zwischen Mosul und der Grenze geschickt. Wie es der Zufall so wollte, waren dort gerade zwei amerikanische Blackhawk-Hubschrauber gelandet, aus denen mehr als zwanzig Mann höchstens hundert Meter von der Fabrik entfernt ausstiegen. Mukhtar sah sich gezwungen umzukehren, nachdem sie fast dreißig Kilometer gefahren waren, und dann steckten sie auch noch in dem Stau, den die amerikanischen Straßensperren verursachten.
Mukhtar hatte noch einen Ort in der Stadt in Reserve. Einen Ort, wo die Amerikaner nicht willkommen waren. Er stieg die Stufen der Moschee hinunter, bis er in dem feuchten Keller angelangt war, in dem die Direktorin der CIA wartete. Mukhtar war bis vor wenigen Minuten sehr zufrieden mit dem Verlauf der Operation gewesen. Sie hatten Kennedy ohne einen Kratzer aus dem Wagen geholt, und sie hatten die Straßenkreuzung gerade noch rechtzeitig verlassen können. Zumindest hatte er das zu diesem Zeitpunkt gedacht.
Soeben war jedoch die Nachricht hereingekommen, dass sie vierunddreißig Männer verloren hatten. Zuerst hatte Mukhtar gedacht, dass diese Information gewiss sehr ungenau sein musste. Wie sollten sie so viele Männer verloren haben? Dass die Zahl nicht aus der Luft gegriffen war, begann sich zu bestätigen, als er nach Ali Abbas fragte, dem Verbindungsmann der Hisbollah in Mosul. Abbas war der Mann, der die Vereinbarung mit dem lokalen Polizeichef getroffen hatte. Als man ihm meldete, dass Abbas unter den Toten sei, gab er sofort die Anweisung, sich zu vergewissern, dass es auch
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