Die Bedrohung
wirklich stimmte. Denn sollte Abbas noch leben, war alles in Gefahr. Er kannte die gesamte Infrastruktur der Hisbollah. Und das nicht nur in Mosul, sondern auch im Libanon. Er wusste auch, dass sie direkt für den iranischen Präsidenten arbeiteten, was die Sache noch heikler machte. Abbas kannte die Standorte aller sicheren Häuser und wusste, welche Amtsträger auf ihrer Gehaltsliste standen.
Es musste unverzüglich jemand hingeschickt werden, der herausfand, ob irgendjemand lebend gefasst worden war. Als Nächstes fragte er nach Rashid Dadarshi, dem Kommandanten der Quds-Einheit. Dadarshi war ein überaus fähiger Mann. Er hatte bestimmt jemanden, der an den Ort des Geschehens zurückkehren und sich umhören konnte. Aber es kam noch schlimmer. Dadarshis Stellvertreter teilte Mukhtar mit, dass sein Kommandant nicht zurückgekehrt war.
Mukhtar konnte es nicht glauben. Er hatte beide Männer noch gesehen, kurz bevor er mit Kennedy wegfuhr. Was konnte in der kurzen Zeit passiert sein? Er gelangte zur letzten Stufe, die in ein zweites Kellergeschoss unter der Großen Moschee führte, und fragte sich erneut, ob es richtig war, hier zu bleiben. Es war Abbas, der ihm von der Moschee erzählt und ihm versichert hatte, dass sie dem Imam hundertprozentig vertrauen könnten. Dadarshi hingegen wusste nicht, dass Abbas ihm die Moschee als sicheren Ort empfohlen hatte, und Mukhtar war sehr zuversichtlich, dass die Amerikaner, falls sie Abbas lebend erwischt haben sollten, mindestens vierundzwanzig Stunden brauchen würden, um seinen Widerstand zu brechen. Deshalb überlegte Mukhtar, ob er nicht vorerst hier bleiben sollte, anstatt Kennedy am helllichten Tag woanders hinzubringen, wenn die Straßen von amerikanischen Soldaten nur so wimmelten.
Als ihm der Imam von den alten Gängen unter der Moschee erzählte, beschloss Mukhtar, zumindest bis zum Einbruch der Nacht hier zu bleiben. Leider hatte er eine strikte Anweisung erhalten, an die er sich unter allen Umständen halten musste. Er durfte Kennedy nicht töten, es sei denn, Amatullah befahl es ausdrücklich. Die einzige Ausnahme galt für den Zeitpunkt des Angriffs, weil man ihren Tod dann den sunnitischen Aufständischen in die Schuhe schieben konnte und niemand je die Wahrheit erfahren würde. Es war ein verlockender Gedanke, einfach durch diese Tür am Ende des schmalen Ganges zu gehen, ihr eine Kugel in den Kopf zu jagen und die Leiche in den Fluss zu werfen – aber andererseits reizte es ihn auch, sie zu verhören. Deshalb war er auch bereit, das Risiko in Kauf zu nehmen, sie über die Grenze in den Iran zu bringen. Sie war eine sehr kluge Frau, deshalb würde es Zeit brauchen, um zwischen ihren Lügen zur Wahrheit vorzudringen. Mukhtar zweifelte nicht daran, dass es ihm gelingen würde, aber es war sicher nicht einfach. Er würde sie monatelang verhören müssen, aber die Informationen würden so wertvoll sein, dass die Hisbollah über Jahre hinaus davon zehren konnte, und nebenbei würde es auch ihrem Ruf sehr förderlich sein. Aber eins nach dem anderen. Er hatte Präsident Amatullah sein Wort gegeben, dass er ihm wertvolles Material für seine Propaganda liefern würde.
Ein Mann von der Quds-Einheit stand vor der Tür Wache. Mukhtar rückte sein Jackett zurecht, während er zu ihm trat. »Wie geht es ihr?«
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Keine Probleme bis jetzt.«
»Dann sehen wir zu, dass es so bleibt.«
Mukhtar drückte die Tür auf und trat in den feuchten Lagerraum ein. Er war ungefähr drei mal sechs Meter groß und kaum mehr als zwei Meter hoch. Beleuchtet war er von einer einzigen Lampe, deren Verlängerungskabel auf den Gang verlief. Es stank nach Schimmel und abgestandener Luft. Mukhtar schritt über den Lehmboden zu Kennedy und sah auf ihre nackten Beine hinunter, die aus der Decke ragten, die man über sie gebreitet hatte. Er beugte sich hinunter und zog ihr den Sack vom Kopf. Sie sah blinzelnd zu ihm auf, während er die Decke über ihre Beine zog.
»Es tut mir leid, dass ich nicht früher hier sein konnte, Dr. Kennedy«, sagte Mukhtar auf Englisch. Er war stolz auf die Nachforschungen, die er über die Frau angestellt hatte, und auf die listige Strategie, die er sich zurechtgelegt hatte. »Ich habe erst vor einer halben Stunde erfahren, dass man Sie entführt hat. Behandeln sie Sie anständig?«
Kennedy musterte Mukhtar aufmerksam. »Es tut mir leid … Sie sind?«
Mukhtar lächelte. »Jemand, der gern mithelfen möchte, dass der Irrtum
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