Die Bedrohung
Hinsicht war er der zweitmächtigste Mann im Iran. Nachdem er fast ein Jahrzehnt lang das Ministerium für Geheimdienst und Sicherheit geleitet hatte, bestimmte ihn der Oberste Führer zum Vorsitzenden des Rates, der hinter den Kulissen als Vermittler und Berater des Obersten Führers tätig war. Dieser Schritt war zunächst von vielen begrüßt worden. Najar war ein Hardliner, der als Geheimdienstminister unerbittlich gegen die Medien und all jene vorgegangen war, die es wagten, dem Obersten Führer zu widersprechen. Ashani hatte Jahrelang für Najar gearbeitet und mochte ihn trotz seiner brummigen Art wegen der simplen Tatsache, dass der Mann absolut nichts Heuchlerisches an sich hatte. Wenn man ihm gegenüber offen und respektvoll war, dann hatte man mit ihm keine Probleme. Wenn nicht, dann bekam man mit hoher Wahrscheinlichkeit sein aufbrausendes Temperament zu spüren.
Ein Teil ihrer Arbeit bestand darin, dafür zu sorgen, dass die Medien nur Nachrichten brachten, die als geeignet befunden wurden. Die Ministerien für Geheimdienst und Information waren die offiziellen Zensoren der Revolution. Das beste Beispiel für Najars Temperament war ein Vorfall mit dem Chefredakteur einer Zeitung, der sich vor einigen Jahren zugetragen hatte. Das Blatt brachte eine Serie über junge moslemische Männer und Frauen, die miteinander befreundet waren. Als das Foto eines Händchen haltenden Paares veröffentlicht wurde, entzündeten sich Najars glühende religiöse Gefühle, und er zitierte den Chefredakteur zu sich, um ihm eine scharfe Standpauke zu halten. Ashani verfolgte amüsiert, wie der Journalist zu erklären versuchte, dass sie nicht ewig in der Vergangenheit leben konnten. Die Diskussion wurde immer hitziger, und der Journalist weigerte sich zuzugeben, dass er einen Fehler gemacht hatte. Najar wurde so wütend, dass er eine Teekanne nach dem Mann warf.
Ashani erinnerte sich, dass er damals froh war, dass es nur eine Teekanne war. Najar trug stets eine Pistole bei sich, und es war kein Geheimnis, dass er sie gelegentlich auf Leute richtete, wenn er besonders zornig war. In diesem Fall verzichtete Najar darauf, die Waffe zu ziehen; stattdessen stürzte er sich auf den Zeitungsmacher. Najar rang den Mann nieder und biss ihn in den Arm wie ein Hund. Der Journalist wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er mit fünfzehn Stichen genäht werden musste. Der Vorfall mobilisierte Najars Feinde, und wenige Monate später wurde er von dem Ministeramt abgezogen.
Wer nun gehofft hatte, dass Najar sich damit begnügen würde, in dem Rat von alten Männern zu sitzen und sich nicht weiter einzumischen, wurde rasch eines Besseren belehrt. Binnen weniger Monate reformierte er den Wächterrat und beklagte sich öffentlich in scharfen Worten über alles, was die Menschen von den Wurzeln der Revolution wegführte. Weniger bekannt im iranischen Volk und im Ausland war die Tatsache, dass Najar in letzter Zeit immer öfter mit Präsident Amatullah aneinandergeriet.
Rückblickend erkannte Ashani nun, dass der Oberste Führer Najar in den Wächterrat geholt hatte, damit er den zunehmend martialischen, aber populären Amatullah im Zaum hielt. Wenn es in der heutigen iranischen Politik eine Grundregel gab, dann dass sich der Oberste Führer nicht selbst die Hände schmutzig machte. Als religiöser Führer des Iran hatte er die Verpflichtung, über den alltäglichen Streitigkeiten zu stehen.
Najar schritt rasch durch das Zimmer auf Ashani zu. Er trug eine lange schwarze Robe und einen weißen Turban. Sein Bart war fast völlig aschfarben mit dunkelgrauen Stellen an beiden Seiten des Mundes. Er blickte auf Ashani hinunter, der aufzustehen versuchte, und sagte: »Rühren Sie sich ja nicht. Ich kann gar nicht glauben, dass Sie überhaupt hier sind.«
»Es geht mir gut«, versicherte Ashani.
Najar nahm Ashanis ausgestreckte Rechte in beide Hände. »Sie sollten im Krankenhaus sein.«
»Es macht mir nichts aus, hier zu sitzen und zuzuhören.«
»Ich werde für uns beide sprechen. Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen.«
Ashani lächelte. »Danke.«
Der Außenminister und der Vorsitzende des Obersten Kommandorates der Streitkräfte betraten den Raum, gefolgt vom stellvertretenden Leiter der Atomenergiebehörde – alle drei mit mürrischen Gesichtern. Dem vollständigen Sicherheitsrat gehörten achtzehn Mitglieder sowie der Oberste Führer an, doch an diesem Abend hatte man nur die wichtigsten Entscheidungsträger zu dieser
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