Die Bedrohung
entfernt. Durch die Nähe blieben Rapp nur wenige Sekunden, um über den Charakter des Präsidenten und Oberbefehlshabers der amerikanischen Streitkräfte nachzudenken und sich zu fragen, warum er plötzlich ein solches Interesse an ihm zeigte. Mit seinen sechsundvierzig Jahren war Alexander einer der jüngsten Männer, die je in das Amt des Präsidenten gewählt wurden. Er war ein durchaus sympathischer Mensch, doch Rapp hegte ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber allen Politikern. Allzu oft waren ihnen Parteiinteressen und ihre persönliche Karriere wichtiger als die Sicherheit des Landes. Sie luden ihre Probleme auf Behörden wie die CIA ab, die oft als Schachfiguren im politischen Spiel der Parteien missbraucht wurden. Wenn irgendetwas nach Plan lief, waren es stets die Politiker, die sich dafür feiern ließen, aber wenn etwas schiefging, beeilten sie sich, Langley die Schuld dafür zu geben. Natürlich waren nicht alle so. Rapp kannte eine Handvoll Senatoren und Abgeordnete, auf die man sich verlassen konnte. Männer und Frauen, die wussten, was auf dem Spiel stand. Männer und Frauen, die den Überblick behielten und, wenn es nötig war, auch schweigen konnten.
Rapp folgte dem Präsidenten in sein Büro. Mit seinen einen Meter siebenundachtzig war Alexander drei Zentimeter größer als Rapp. Er war schlank, wog etwa 85 Kilo und hatte dichtes hellbraunes Haar. Seine wachen haselnussbraunen Augen konnten einen ziemlich eindringlich ansehen. Alexander schritt quer durch den Raum und setzte sich auf einen Ledersessel mit hoher Lehne, wie er auch im Konferenzzimmer stand. Der Sessel war dreh- und bewegbar und ließ sich für Start und Landung feststellen. Ein identischer Stuhl stand auf der anderen Seite des Schreibtisches auf der Steuerbordseite des Flugzeugs. Rapp blickte zu der langen Ledercouch hinüber und dachte sich, dass man sich hier weniger eingeengt fühlte. Er setzte sich, breitete die Arme auf der Lehne aus und schlug das linke Bein über das rechte.
Alexanders Blick ruhte auf einem Blatt Papier, das er vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. Als er es durchgelesen hatte, zerriss er das Blatt und steckte es in den Reißwolf. »Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich Sie gebeten habe, mich auf dem Rückflug nach Washington zu begleiten.«
»Wenn Präsidenten mich rufen lassen, dann habe ich vermutlich etwas getan, das sie geärgert hat.«
Alexander lächelte und zeigte dabei zwei längliche Grübchen. »Nicht dass ich wüsste. Mein Vorgänger im Amt hält große Stücke auf Sie.«
Rapp nickte. Es hatte wohl einige Differenzen gegeben, aber im Großen und Ganzen war er sehr gut mit Präsident Hayes ausgekommen. »Hat er Ihnen auch gesagt, dass man es mit mir nicht immer ganz leicht hat?«
Das Lächeln blieb auf Alexanders Gesicht. »Das brauchte er mir nicht zu sagen. In dieser Hinsicht eilt Ihnen ein gewisser Ruf voraus.« Alexander drückte einen Knopf an der Seite seines Sessels, worauf sich die Lehne nach hinten neigte. Er drehte den Stuhl ein wenig und legte die Füße auf die Ecke seines Schreibtischs. »Sie sind sehr gut in Ihrem Job, Mitch. Eines der letzten Dinge, die mir Präsident Hayes gesagt hat, bevor er sein Amt übergab, war der Rat, immer klug von Ihnen Gebrauch zu machen.«
»Gebrauch machen?«, fragte Rapp, amüsiert über den Ausdruck.
»Vielleicht sollte ich besser einsetzen sagen. Vielleicht wäre loslassen noch treffender. Was ich sagen will, ist, dass ich nicht so naiv bin, zu glauben, dass wir in einer Welt leben, in der Gewalt niemals eine Lösung sein kann. Es gibt Momente, wo man Gewalt mit Gewalt beantworten muss.«
Rapp war erfreut, das zu hören. »Ich kann Ihnen nur beipflichten.«
»Sie haben viele Talente, Mitch. Was, würden Sie sagen, ist Ihr größter Vorteil?«
»Da fragen Sie den Falschen, Sir.«
»Also können wir der langen Liste Ihrer Stärken auch Bescheidenheit hinzufügen. Nun, ich bin Politiker, darum kann ich nicht unbedingt behaupten, dass es zu meinem Job gehört, bescheiden zu sein. Trotzdem denke ich mir, dass wir etwas gemeinsam haben.«
Rapp hob interessiert eine buschige schwarze Augenbraue. Insgeheim fragte er sich jedoch, welche Eigenschaften er wohl mit einem Mann wie Alexander gemein haben könnte, der in der Welt der Politik mit ihren täglichen Machtspielen zu Hause war.
»Ich habe den Bericht gelesen, den Sie vergangenes Jahr eingereicht haben. Der, in dem Sie dargelegt haben, wie der Iran reagieren würde, wenn wir ihr
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