Die Bedrohung
den nichts und niemand aufhalten konnte. Die Situation war nicht zuletzt deshalb so unendlich schwierig, weil sich nicht zweifelsfrei feststellen ließ, wer eine Bedrohung darstellte und wer nicht. Es war unmöglich, die wahren Absichten der Leute zu ergründen – und selbst wenn man sie kannte, war es jederzeit möglich, dass manche in der Hitze des Gefechts die Seiten wechselten.
Stilwell war ein Faktor, der ihm etwas Zuversicht gab. Der Mann hatte seinen Job perfekt ausgeführt. Das Safe House lag direkt gegenüber dem Gebäude, in dem das Treffen stattfinden würde. Es war eines von Stilwells Internet-Cafés, wo er sich mit seinen Kontaktpersonen traf. Der Besitzer war ein Cousin von einem von Stilwells Bodyguards. Stilwell steckte ihm jeden Monat tausend Dollar extra zu, damit er das Haus benutzen konnte. Die Wohnung im ersten Stock auf der anderen Straßenseite war mit Vorräten gefüllt. Es war eine Operation ohne jeden Schnickschnack. Die Wohnung war mit Feldbetten, Militärverpflegung und einem ganzen Waffenlager ausgerüstet für den Fall, dass das Haus belagert wurde. Sie hatten einen Granatwerfer, ein halbes Dutzend M-4-Karabiner und Glock-Pistolen Kaliber .45, außerdem ein großes Barrett-Scharfschützengewehr Kaliber .50, zwei M249-SAW-Maschinengewehre und eine Kiste M67-Splittergranaten. Es gab auch Splitterschutzwesten, Triage-Ausrüstung, ein Kommunikations- und Überlebenspaket und einen Stapel alte Zeitschriften und Taschenbücher. Das alles war durch eine schwere Stahltür geschützt. Die Fenster waren mit Gitterstäben gesichert, und im Treppenhausschacht, an der Außenwand und in der Wohnung waren winzige Kameras installiert. Stilwell hatte alle vier Safe Houses auf die gleiche Weise ausgestattet und konnte die Kameras über das Internet verfolgen.
Rapp war gegen elf Uhr abends eingeschlafen, nachdem er die Tür verriegelt und seine geladene Glock Kaliber .45 neben sich gelegt hatte. Kurz vor zwei Uhr nachts wurde er von Schüssen aus einem Traum gerissen. Er lag über eine Stunde wach, und als er gerade am Einschlafen war, hörte er erneut Schüsse draußen, diesmal etwas näher. Stilwell begann zu schnarchen wie ein Betrunkener, und Rapp konnte nur noch daliegen, seine Augen ausruhen und an all das denken, was er am Morgen zu tun hatte. Schließlich schlief er doch noch ein, als der Tag fast schon anbrach, wurde aber wenig später durch eine heftige Explosion aus dem Schlaf gerissen. Rapp knipste ein Licht an und blickte zu Stilwell hinüber, der nur ein Auge aufmachte.
»Das war ganz in der Nähe«, sagte Rapp.
»Keine Sorge«, murmelte Stilwell. »Das waren welche von uns.« Er drehte sich um, und es dauerte keine Minute, bis er wieder friedlich schnarchte.
Rapp blickte sich um, als sie auf die Hauptverkehrsstraße zum Flughafen auffuhren. Er fragte sich mindestens zum zehnten Mal, ob es wirklich klug war, Irene Kennedy in diese Gegend kommen zu lassen. Die Iraner weigerten sich, das Treffen am Flughafen abzuhalten, also einigte man sich auf einen neutralen Ort in der Stadt. Sie kamen an den verkohlten Überresten eines Autos vorbei, und Rapp gähnte.
Stilwell sah ihn mit seinem breiten Grinsen an. »Was ist los mit dir?«, fragte er. »Hast du nicht gut geschlafen?«
Rapp blickte geradeaus und runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, was schlimmer war – die Schüsse oder dein Schnarchen.«
»Mein Schnarchen. An die Schüsse gewöhnst du dich, wenn du eine Zeit lang hier bist.«
»Kann ich mir vorstellen.« Rapp nickte nachdenklich und nahm sich vor, mit Irene Kennedy zu sprechen, damit sie Stilwell eine Belobigung und eine üppige Gehaltserhöhung zukommen ließ. Diese Leute draußen im Feld wurden nie gut genug bezahlt.
30
Der russische Mi-24-Kampfhubschrauber flog mit hoher Geschwindigkeit über die Ruinen der antiken Stadt Ninive hinweg. Ashani blickte auf die assyrischen Ruinen hinunter und dachte an die Geschichte seines eigenen Landes. Er erinnerte sich nicht mehr an alle Fakten, aber er wusste, dass die Hauptstadt des assyrischen Reiches ungefähr tausend Jahre vor der Ankunft des Propheten gefallen war. Die Meder und Babylonier hatten die Stadt zerstört und wurden ihrerseits von König Kyros besiegt. Doch die Tage, in denen die Perser vom Mittelmeer bis zum heutigen Indien geherrscht hatten, waren lange vorbei. Es schien unmöglich, irgendwann wieder an die Größe der alten Vorfahren anzuschließen. Wenn man an die jüngsten Entwicklungen dachte, musste man froh
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