Die Befreier von Canea
»Wozu die Eile?«
Einer der Ritter Aeris kam im Laufschritt zu Bernard gerannt und salutierte, wie in der Legion üblich, indem er sich die Faust vor den Brustpanzer schlug. Bernard erwiderte den Gruß.
»Exzellenz«, sagte der Ritter. Er überreichte einen versiegelten Umschlag. »Ich muss dich und die Gräfin ersuchen, mich sofort zu begleiten.«
Amara zog die Augenbrauen hoch und wechselte einen Blick mit ihrem Gemahl. »Stehen wir unter Arrest?«, fragte sie und bemühte sich, sachlich zu klingen.
»Die Einzelheiten sind in dem Brief nachzulesen«, antwortete der Ritter.
Bernard hatte das Schreiben bereits geöffnet und las. »Vom Ersten Fürsten«, sagte er leise. »Wir haben Befehl, uns sofort in Alera Imperia einzufinden.«
Amara fuhr zornig auf: »Ich arbeite nicht mehr für Gaius.«
»Willst du vielleicht den Gehorsam verweigern, Gräfin?«, fragte der Ritter freundlich.
»Amara …«, setzte Bernard an.
Sie hätte den Mund halten sollen, doch das Feuer des Zorns hatte Erinnerungen an andere Brände entflammt, an eine entsetzliche Feuersbrunst, und im Schmerz vergaß sie sich. »Nenn mir einen Grund, warum ich mitkommen sollte.«
»Nun ja, zum Beispiel«, sagte der Ritter höflich, »muss ich dich sonst gefangen nehmen und dich in Ketten zum Rat bringen, wenn du dich weigerst.«
Amara spürte, wie sich die Haut über ihren Knöcheln spannte, als sie die Hand zur Faust ballte.
Bernard legte ihr seine starke Hand auf die Schulter und brummte: »Wir kommen mit, Hauptmann.«
»Danke«, erwiderte der Ritter mit ernster Miene. »Hier entlang bitte.«
»Kann ich mir noch ein paar Dinge für die Reise holen?«
»Zwei Minuten«, gab der Ritter zurück. »Länger kann ich nicht verweilen, Exzellenz.«
Amara blickte ihn an. »Warum nicht?«, fragte sie leise. »Was ist denn los?«
»Es gibt Krieg«, antwortete er knapp. Einen Moment lang bekam sein Blick einen gehetzten Ausdruck. »Und wir verlieren.«
4
Gaius Isana, Erste Fürstin von Alera, wurde mitten in der Nacht von einem Aufruhr auf dem Hof vor ihren Gemächern geweckt. Im Sitz des Hohen Hauses von Placida herrschte sonst nach Maßstäben der Hohen Fürsten von Alera eine gespenstische Stille. Das Herrenhaus war zwar aus erlesenstem weißem Marmor gebaut, verfügte jedoch lediglich über vier Stockwerke und war als offenes Viereck um einen Mittelhof mit Garten angelegt wie ein einfaches Landgut. Isana hatte Häuser anderer Hoher Fürsten in der Hauptstadt gesehen, die weitaus größer und prächtiger ausgeführt waren als die alten Hallen derer von Placida.
Das Anwesen war vielleicht nicht riesig, dafür hatte man jeden Steinblock poliert und passend eingesetzt, und Türen, Täfelungen und Fensterläden waren aus feinsten Hölzern gefertigt und in schlichter Vollkommenheit ausgeführt. Für die liebevoll gepflegten Möbel galt das Gleiche.
Doch am meisten mochte Isana die Dienerschaft des Hauses. In der Hauptstadt und in vielen anderen großen Städten des Reiches, die Isana kannte, fand man eine große Bandbreite aus den verschiedenen Sphären der aleranischen Gesellschaft. Cives rauschten in ihrem feinen Staat vorbei, während nichtadlige Freie sich um ihre Pflichten kümmerten und ihnen ansonsten nicht in die Quere kamen. Die niederen Freien und Sklaven, die in verarmtem Elend lebten, erledigten die einfachen Arbeiten. In Fürstin Placidas Haushalt hingegen gab es keine Sklaven, und Isana hatte Schwierigkeiten, auf den ersten Blick die Cives von den Freien zu unterscheiden. Genauer gesagt schienen die Cives selbst weniger Wert auf ihren Rang zu legen und sich dafür mehr um ihre Pflichten zu kümmern, worin die auch bestehen mochten – weshalb sie auch ihre Berater und Bediensteten ohne die im Reich übliche Herablassung gegenüber den niederen Ständen behandelten.
Die Kluft zwischen Civitas und Freien hatte sich natürlich nicht einfach in Luft aufgelöst, beileibe nicht. Aber von der unterschwelligen Feindseligkeit und Furcht, die sonst zwischen den Ständen herrschte, war wenig zu spüren. Das spiegelte vermutlich wider, welchen Umgang der Hohe Fürst und die Hohe Fürstin von Placida mit ihren Leuten pflegten, und bei Isana hinterließ dies einen guten Eindruck.
Seit ihrer Rückkehr aus den vom Kriege verheerten Gebieten um das Amaranth-Tal wohnte sie als Gast bei der Hohen Fürstin Placidus Aria. Zwar hatten das plötzliche Ende der Rebellion von Kalarus und der Waffenstillstand mit den Canim den Krieg beendet, doch das
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