Die Befreier von Canea
huschte Verbitterung, und Isana spürte davon nur ein schwaches Zucken durch ihre Verbindung mit Bächlein, jedoch mehr, als sie für gewöhnlich von Gaius wahrnehmen konnte. Das wollte sie ihm gar nicht vorwerfen. Schließlich war es eines der wenigen Dinge, bei denen sie ähnliche Gefühle empfand. Der Marat-Einfall vor über zwanzig Jahren hatte die Kronlegion vernichtet, und auch der Princeps Septimus, ihr Gemahl und Tavis Vater, war dabei ums Leben gekommen.
»In der frühen Geschichte von Alera«, fuhr Gaius fort und deutete auf die Wand mit Büchern, »kämpften unsere Legionen so gut wie jedes Jahr gegen ein ansehnliches Heer von Feinden – Feinde, die es heute gar nicht mehr gibt.« Er schüttelte den Kopf. »Seit mehreren Jahrhunderten gehört der gesamte Kontinent zu Alera. Wir haben die Marat im Calderon-Tal zurückgedrängt und die Canim an den Küsten. Unsere Legionen kämpfen heute verhältnismäßig selten und nur an bestimmten Stellen.«
Aria hob das Kinn. »Willst du damit andeuten, sie seien der Aufgabe nicht gewachsen?«
»Ich sage, die meisten unserer Legionares haben noch nie eine Klinge im Zorn gehoben«, antwortete Gaius. »Besonders nicht in den Städten des Südens, die nun von den Vord bedroht werden. Die einzigen Legionen, die in letzter Zeit Kampferfahrung sammeln durften, waren Kalarus’ Truppen und die Senatsgarde – und beide wurden vernichtet. Die Kronlegion und die Erste Ceresianische sind die einzigen Veteranen in dem Gebiet. Die Übrigen sind offen gesagt zwar gut ausgebildet, aber noch nicht erprobt.«
»Die Erste Placidische sollte möglicherweise auch als Veteranen-Legion betrachtet werden, Majestät«, sagte Aria und versteifte sich. »Mein werter Gemahl hat viele Veteranen aus den antillanischen Legionen rekrutiert, und wie du weißt, müssen all unsere Offiziere eine Zeit auf der Schildmauer dienen.«
»Wohl wahr«, stimmte der Erste Fürst zu. »Antillus und Phrygia sind die beiden Städte, die am meisten von den Traditionen der alten aleranischen Legionen bewahrt haben. Jeder Legionare hat schon im Kampf gestanden. Jeder Mann in diesen Städten leistet seinen Dienst in der Legion und zieht in die Schlacht, so dass selbst ihre Militia besser auf den bevorstehenden Kampf vorbereitet ist als die ersten Legionen von Attica, Forcia, Parcia, Ceres – und offen gesagt, Hoheit, besser als eure zweite und dritte.«
Isana hob die Hand. »Gaius, bitte. Ich bin kein Tribun und kein Legionare . Was habe ich damit zu tun?«
»Wenn ich Alera verteidigen soll, brauche ich die Legionen von der Schildmauer«, sagte Gaius und blickte Isana unverwandt an. »Legionen, Militia, jeden Ritter, jedes Schwert und jeden Speer des Nordens.«
»Antillus Raucus wird sein Volk niemals schutzlos den Eismenschen überlassen«, sagte Fürstin Placida. »Und Phrygius Guntus auch nicht. Beide haben in den letzten beiden Jahren schwerer kämpfen müssen als je zuvor.«
Isana wich dem Blick des Ersten Fürsten nicht aus und begriff plötzlich. »Aber wenn der Krieg mit den Eismenschen beendet werden kann, können diese Legionen an anderer Stelle eingesetzt werden.«
Fürstin Placida zog die kupferbraunen Augenbrauen fast bis zum Haaransatz hoch. »Beendet? Mit den Eismenschen wurden noch nie erfolgreiche Friedensverhandlungen geführt.«
»Denn es gab auch noch nie einen Vermittler«, sagte Gaius. »Eine neutrale dritte Partei, die bei den Eismenschen respektiert wird und bereit ist, die Verhandlungen zu führen.«
Isana holte tief Luft. »Doroga.« Sie blickte Aria an und erklärte ihr: »Der oberste Häuptling der Marat. Er ist unser Freund.«
Gaius neigte den Kopf. »Ich stehe in regelmäßigem Austausch mit ihm, seit seine Tochter hierhergezogen ist. Der Marat hat in weniger als sechs Monaten Lesen und Schreiben gelernt. Er ist überraschend klug. Inzwischen befindet er sich schon auf dem Weg zu dem Treffpunkt.«
»Und mich schickst du ebenfalls dorthin?«, fragte Isana. »Warum?«
»Weil ich hier bleiben muss«, antwortete Gaius. »Und wenn ich dich schicke, die hochrangigste Frau des Hauses Gaius, spreche ich ihm damit das Vertrauen aus. Doroga vertraut dir, und zwar sicherlich mehr als mir.«
»Du hast selbst gesagt, er sei klug«, meinte Isana ironisch.
Die Fürstin Placida machte große Augen und starrte Isana an, doch Gaius verzog nur einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln und trank einen Schluck Gewürzwein. »Aria«, sagte er, »ich wünsche jemanden als Begleitung für
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