Die Befreier von Canea
angetrieben von Demos und den Schiffsoffizieren. Tavi wäre zu ihnen gegangen, wenn er gekonnt hätte, aber Demos hatte es ihm untersagt. In Anbetracht von Tavis mangelnder Seefestigkeit wollte er Gaius Sextus nicht erklären müssen, wie der Thronfolger des Reiches über Bord gegangen war, während er einen Knoten machen wollte, den er kaum beherrschte.
Also ließ man Tavi im Dunkeln zurück, wo er sich mit Schuldgefühlen plagte, weil er in der Koje lag, während die anderen schufteten, um das Schiff durch den Sturm zu lenken. Außerdem langweilte er sich zu Tode, zusätzlich zu der entsetzlichen Übelkeit.
Es konnte daher niemanden wundern, wenn er immer mürrischer wurde.
Kitai war die ganze Zeit bei ihm, beruhigte und tröstete ihn oder brachte ihm schonende Kost, die er bei sich behalten konnte. Sie drängte ihn, Wasser oder dünne Brühe zu trinken, zumindest bis zum siebten Tag, an dem sie schließlich sagte: »Aleraner, ich habe auch meine Grenzen!« Daraufhin verließ sie die Kabine mit geballten Fäusten und fluchte leise auf Canisch vor sich hin.
Wenigstens sprach er besser Canisch als sie. Aber er hatte ja auch geübt.
Unendliche Zeit später erwachte Tavi mit einem eigenartigen Gefühl. Er brauchte einen Moment, bis er begriff, dass das Schiff sanft über die Wellen glitt und ihm nicht mehr so entsetzlich übel war. Er löste die Leine über seiner Brust, setzte sich auf und wagte es kaum zu glauben. Aber es stimmte, die Schleiche befand sich in ruhigen Gewässern und wurde nicht mehr vom Sturm hin und her geworfen. Seine Nasenhöhlen waren schrecklich ausgetrocknet, und als er sich in seiner Koje aufrichtete, fühlte er die Kälte. Graues Sonnenlicht schien trübe durch das Kabinenfenster, das mit Reif überzogen war.
Er stand auf, zog sich seine wärmste Kleidung an und entdeckte Kitai in der Koje neben seiner, wo sie tief schlief. Maximus lag in der Koje auf der anderen Seite der Kabine in ähnlichem Zustand der Erschöpfung. Tavi hatte ihn seit Tagen nicht gesehen. Er deckte Kitai mit seiner Decke zu. Sie murmelte verschlafen etwas und rollte sich zusammen, weil sie die zusätzliche Wärme spürte. Tavi küsste sie aufs Haar und ging hinaus auf Deck.
Das Meer war fremdartig.
Das Wasser war seltsam. Selbst bei ruhigster See gab es doch für gewöhnlich kleine Wellen. Hier war der Meeresspiegel so glatt wie eine Glasscheibe und kräuselte sich nur sanft in einer milden Brise von Norden.
Überall war Eis.
Eis überzog das Schiff mit einer dünnen Schicht und glänzte auf Spieren und Masten. Auch das Deck war mit dünnem Eis bedeckt, das man allerdings bestreut und aufgeraut hatte, damit man nicht so leicht darauf ausrutschte. Trotzdem passte Tavi beim Gehen gut auf. Quer über Deck waren Leinen gespannt, offensichtlich, damit die Mannschaft Halt fand, wenn man nicht gerade in der Nähe der Reling oder der Aufbauten war.
Tavi ging zur Reling und schaute hinaus aufs Meer.
Die Flotte breitete sich unzusammenhängend um sie herum aus bis zum Horizont. Selbst das nächste Schiff war zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen, dennoch bemerkte er, dass irgendetwas an den Umrissen nicht stimmte. Erst nachdem er genau hingeschaut hatte, fiel ihm der fehlende Hauptmast auf, der im Sturm abgebrochen sein musste. Bei mindestens zwei weiteren Schiffen konnte er einen ähnlichen Schaden ausmachen, darunter auch bei einem der übergroßen Canim-Kriegsschiffe. Tavi sah auf diesen Schiffen keine Leute, auch auf seinem eigenen nicht, und ihn beschlich ein unheimliches Gefühl, so als wäre er plötzlich ganz allein auf der Welt.
Eine Möwe stieß einen Schrei aus, der diese Einsamkeit noch bestärkte. Eis knackte, und von einem Tau löste sich ein Eiszapfen und krachte aufs Deck.
»So ist es immer nach einem langen Orkan«, sagte Demos leise hinter ihm.
Tavi drehte sich um. Der Kapitän war gerade aufs Deck gekommen und bewegte sich langsam über die vereisten Planken auf Tavi zu. Er sah aus wie immer – sauber, ruhig und in Schwarz gekleidet. Um die Augen hatte er dunkle Ringe, und der Bart war einige Tage nicht rasiert worden. Ansonsten sah man ihm keine Spur von dem tagelangen Kampf mit den Elementen an.
»Die Männer haben alles gegeben, manchmal hatten sie tagelang kein anständiges Essen und keinen Schlaf«, fuhr Demos fort. »Nachdem die Gefahr überstanden war, sind sie einfach an Ort und Stelle eingeschlafen. Ich musste sie fast prügeln, damit sie sich wenigstens in ihre Kojen legen.
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