Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
Die Geschwindigkeit wurde unerträglich, ein Druck baute sich auf, bis er kurz davor stand zu zerplatzen. Seine Ohren machten zu, die Lungen schafften es kaum noch, Luft einzusaugen, sein Körper wurde an die Grenzen der Belastung getrieben.
Er würde zerrissen werden, jedes Molekül, das er besaß, war aufs Äußerste gespannt …
Da hob sich der Strudel langsam, das ganze Gebilde stieg von seinen Füßen auf, höher … höher … über die Knöchel, die Waden, die Hüften … über die Schultern … und dann schließlich über seinen Kopf hinweg und glitt davon.
Er sank erschlafft zu Boden und prallte rasselnd auf den harten Fliesen auf.
Aber es war noch nicht vorbei.
Mit der Wange auf dem Fußboden starrte er zu dem unfassbaren Anblick hinauf. Die kreiselnde, schimmernde Hülle schwebte über Adrian und senkte sich dann auf ihn herab, bedeckte erst seinen Kopf und seinen Brustkorb, dann seinen gesamten Oberkörper. Bis er gänzlich darin verschwand.
Hinter dem Gewebe bäumte der Mann sich auf, als fiele etwas über ihn her, er zuckte und krampfte, die schmerzverzerrte Miene ließ darauf schließen, dass er jetzt erlebte, was Matthias gerade durchgemacht hatte.
Knack!
Mit einem schneidenden Geräusch zerfiel, was auch immer es war, auf dieselbe Weise, wie es gekommen war, Faden auf Faden zerriss und löste sich in Luft auf, der Kokon blätterte Strang für Strang ab, und schließlich stürzte Adrian zu Boden.
Matthias hob den Kopf und sah an seinem Körper herab. Dann musterte er den des anderen Mannes.
Komischerweise waren sie beide in genau derselben Haltung gelandet, eine Hand oben, die andere unten, ein Bein ausgestreckt, das andere gekrümmt.
Sie waren jeweils ein exaktes Spiegelbild des anderen.
Matthias streckte die Hand aus, um Adrian zu berühren …
Er blinzelte. Blinzelte noch einmal. Richtete sich mit einem Ruck auf.
Ungläubig bewegte er die Hand vor seinem Gesicht vor und zurück, um den Abstand zu verändern.
Dann stieß er einen Schrei aus, griff nach dem Waschbecken und zog sich hoch.
Was er dort im Spiegel sah, war unmöglich.
Sein trübes Auge, dasjenige, das durch seine Tat vor zwei Jahren zerstört worden war, hatte wieder dasselbe Blau wie das andere.
Er beugte sich ganz dicht vor das Glas, Nase an Nase mit seinem Spiegelbild, als könnte ihm das die Wahrheit verraten – und so war es auch irgendwie, nur auf eine Weise, die er niemals für möglich gehalten hätte: Der Blick aus unmittelbarer Nähe bewies eindeutig, dass die Narben an seiner Schläfe sich tatsächlich zurückgebildet hatten. Und zwar so stark, dass er sie, hätte er nicht nach ihnen gesucht, gar nicht bemerkt hätte.
Matthias machte einen Schritt nach hinten und starrte an sich herab. Gleiche Größe. Gleiches Gewicht. Aber die Schmerzen waren weg, genau wie das Taubheitsgefühl und das heftige Stechen, das seine Knochen mit solcher Stetigkeit heimgesucht hatte, dass er es nun erst durch sein Fehlen richtig wahrnahm.
Er zog das Hosenbein etwas hoch. Narben waren auf seiner Wade zu erkennen, aber wie die im Gesicht waren sie nicht annähernd so ausgeprägt wie zuvor. Und ein starkes Beugen des Knies, das ihm eigentlich vor Schmerz den Atem hätte verschlagen sollen, ließ ihn völlig unangetastet.
Er sah den Mann auf dem Boden an. »Was zum Teufel hast du mit mir gemacht?«
Adrian setzte sich grunzend auf und hievte sich dann mühsam von den Fliesen hoch. Als er endlich aufrecht stand, zog er gequält die Augenbrauen zusammen. »Nichts.«
»Und was war der ganze Hokuspokus dann bitte?«
Der andere wandte sich ab. »Ich gehe mal nach Jim sehen.«
Matthias ergriff ihn am Arm, Angst durchzuckte ihn. »Was hast du mit mir gemacht?«
Aber er wusste es bereits. Noch ehe Adrian sich über die massige Schulter zu ihm umsah, wusste er Bescheid.
Er war geheilt worden. Durch ein Wunder hatte Adrian, der Mitbewohner – wer auch immer er sein mochte –, geschafft, was zwei Jahre ärztliche Kompetenz, Operationen, Medikamente und Reha nicht geschafft hatten.
Sein Körper war wieder heil.
Weil Adrian die Schäden auf sich genommen hatte.
Als Matthias dem Mann in das nun milchige Auge blickte, hielt er sich nicht länger mit diesem metaphysischen Kram auf, nicht mit »Heilige Scheiße«, »Amen« oder gar Dankes worten.
Ihm ging nur noch eines im Kopf herum: Wie zur Hölle würde er das Mels erklären?
Einundvierzig
»Hallo, Mom, wie geht es dir?«
Während die Antwort durch die Leitung erklang, steckte
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