Die Begnadigung
Wasserflasche zitterte.
Mr Sizemore aus Washington registrierte das Zittern und musterte Joel Backman von Kopf bis Fuß. Sein kurz geschnittenes Haar war ergraut, und er trug schwarze, vom Gefängnispersonal ausgegebene Socken und ramponierte, billige Turnschuhe. Unwillkürlich musste Sizemore daran denken, wie er in seinem früheren Leben ausgesehen hatte. Vor seinem geistigen Auge sah er das Titelblatt einer Illustrierten – Joel Backman in einem tadellos sitzenden schwarzen Anzug, in jeder Hinsicht wie aus dem Ei gepellt. Er blickte mit einem Ausmaß von Selbstgefälligkeit in die Kamera, das man kaum für möglich gehalten hätte. Damals hatte er sein dunkles Haar länger getragen, und sein eindrucksvolles Gesicht war noch nicht durch Falten verunstaltet gewesen. Sein Bauchumfang hatte von einer Vorliebe für Mittag- und Abendessen mit mehreren Gängen gekündet. Backman hatte Wein, Frauen und Sportwagen geliebt und einen Jet, eine Jacht und ein Haus in Vail besessen. Er hatte sich nie lange bitten lassen, über sein Luxusleben zu reden. Über dem Coverfoto der Illustrierten stand in Fettdruck: DER LOBBYIST – IST DAS DER ZWEITMÄCHTIGSTE MANN VON WASHINGTON?
Die Illustrierte steckte in Mr Sizemores Aktentasche, zusammen mit einem dicken Dossier über Backman, das er während des Fluges von Washington nach Tulsa durchgeblättert hatte.
Wenn man dem Artikel in der Illustrierten Glauben schenken wollte – Backman selbst hatte sich in diesem Punkt dem Reporter gegenüber bedeckt gehalten –, hatte er damals mehr als zehn Millionen Dollar im Jahr verdient. Die von ihm gegründete Kanzlei beschäftigte zweihundert Anwälte. Zahlenmäßig spielte man damit in Washington nicht in der ersten Liga, aber es stand außer Zweifel, dass keine andere Kanzlei in politischen Kreisen über so viel Einfluss verfügte. Die dort beschäftigten Juristen arbeiteten nicht als Anwälte, sondern als Lobbyisten, und das Ganze erinnerte eher an ein Bordell für reiche Unternehmen und ausländische Regierungen.
Was für ein Absturz, dachte Mr Sizemore, während er die zitternde Hand mit der Wasserflasche betrachtete.
»Ich verstehe nicht«, flüsterte Backman.
»Wir haben keine Zeit für Erklärungen«, sagte Mr Sizemore. »Und unglücklicherweise bleibt Ihnen keine Zeit, sich die Dinge durch den Kopf gehen zu lassen, Mr Backman. Hier ist eine schnelle Entscheidung gefragt. Ja oder nein. Wollen Sie hier bleiben, oder möchten Sie lieber unter einem neuen Namen am anderen Ende der Welt leben?«
»Wo?«
»Das entzieht sich unserer Kenntnis, aber wir werden es erfahren.«
»Werde ich dort in Sicherheit sein?«
»Diese Frage können nur Sie selbst beantworten.«
Mr Backman dachte über diese Frage nach und begann noch stärker zu zittern. »Wann werde ich das Gefängnis verlassen?«, fragte er bedächtig. Seine Stimme klang jetzt fester, doch ein weiterer Hustenanfall war nie auszuschließen.
»Sofort«, antwortete Mr Sizemore, der das Gespräch an sich gerissen und den Direktor sowie die Vertreter des FBI und des Justizministeriums zu Zuschauern degradiert hatte.
»Sie meinen, jetzt sofort ?«
»Sie werden nicht mehr in Ihre Zelle zurückkehren.«
»Oh, verdammt«, entfuhr es Backman, und die anderen mussten lächeln.
»Vor Ihrer Zelle wartet ein Justizbeamter«, sagte der Gefängnisdirektor. »Er wird Ihnen bringen, was Sie mitnehmen möchten.«
»Vor meiner Zelle lungert immer ein Wärter herum«, fuhr Backman den Direktor an. »Falls es dieser sadistische kleine Dreckskerl Sloane sein sollte, richten Sie ihm aus, dass ich ihm meine Rasierklingen vermache, damit er sich die Pulsadern aufschneiden kann.«
Alle mussten schlucken und schienen darauf zu warten, dass die harschen Worte von den Abzugsschächten aufgesogen wurden, doch sie durchschnitten die stickige Luft und hallten noch einen Augenblick nach.
Mr Sizemore räusperte sich, verlagerte das Gewicht vom linken auf das rechte Bein und sagte: »Im Oval Office warten einige Gentlemen auf Ihre Entscheidung, Mr Backman. Akzeptieren Sie unseren Vorschlag?«
»Der Präsident wartet auf meine Antwort?«
»So könnte man es sagen.«
»Er steht in meiner Schuld. Ich habe ihn ins Oval Office gebracht.«
»Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um solche Themen zu erörtern, Mr Backman«, sagte Mr Sizemore ruhig.
»Will er sich erkenntlich zeigen?«
»Ich weiß nicht, was im Kopf des Präsidenten vor sich geht.«
»Sie scheinen anzunehmen,
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