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Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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drei Kindern – Namen, Alter, Beruf, Häuser, Ehefrauen, Kinder. Zuweilen bog er die Wahrheit etwas zurecht, fügte hier und da ein paar erfundene Details hinzu und vollbrachte ein kleines Wunder, weil es ihm gelang, seine Familie als halbwegs normal darzustellen. Francesca hörte aufmerksam zu und wartete darauf, sich auf ein nicht perfekt ausgesprochenes Wort oder ein falsch konjugiertes Verb zu stürzen und ihn zu korrigieren. Einer von Ninos Söhnen brachte ihnen Pralinen und lungerte so lange am Tisch herum, bis er mit einem breiten Lächeln sagen konnte: » Parla molto bene, signore. « Sie sprechen sehr gut.
    Nach einer Stunde wurde Francesca unruhig, und Marco sah ihr an, dass das lange Sitzen für sie unbequem war. Er konnte sie schließlich überreden, den Unterricht zu beenden, und genoss es, sie in die Via Don Giovanni Minzoni zu begleiten. Sie hatte sich mit der rechten Hand bei ihm eingehakt und stützte sich mit der linken auf den Stock. Die beiden gingen so langsam wie möglich. Francesca graute es davor, in ihre Wohnung zurückzukehren, wo Krankheit und Tod auf sie warteten. Und Marco wäre am liebsten stundenlang neben ihr hergegangen, nur um ihre Hand auf seinem Arm zu spüren und das Gefühl zu haben, dass es jemanden gab, der ihn brauchte. Vor ihrer Wohnung verabschiedeten sie sich mit Wangenküsschen und verabredeten sich für den nächsten Tag bei Da Nino zum Unterricht, dieselbe Zeit, derselbe Tisch.
     
    Jacy Hubbard hatte annähernd fünfundzwanzig Jahre in Washington gewohnt; ein Vierteljahrhundert, in dem er das Leben in vollen Zügen genossen hatte, was bei ihm mit einem bemerkenswerten Verbrauch an Frauen einhergegangen war. Die letzte war Mae Szun gewesen, eine fast eins achtzig große Schönheit mit perfekten Gesichtszügen, pechschwarzen Augen und einer heiseren Stimme. Sie hatte keinerlei Schwierigkeiten damit gehabt, Hubbard in einer Bar anzusprechen und nach draußen in ein Auto zu locken. Nach einer Stunde wildem Sex hatte sie ihn Sammy Tin übergeben, der ihn eliminiert und auf dem Grab von Hubbards Bruder zurückgelassen hatte. Wenn bei einer Liquidierung Sex im Spiel war, arbeitete Sammy Tin am liebsten mit Mae Szun zusammen. Sie war eine brillante MSS-Agentin, aber ihre körperlichen Vorzüge sorgten für eine zusätzliche Dimension, die sich bei mindestens drei Operationen als tödlich erwiesen hatte. Er ließ sie nach Bologna kommen, wollte sie aber zunächst nicht auf die Zielperson ansetzen. Sie sollte vielmehr mit einem anderen Agenten Händchen halten und ein glücklich verheiratetes Touristenpaar spielen. Was allerdings nicht ausschloss, dass er sie vielleicht doch noch als Lockvogel einsetzte. Immerhin hatte Backman sechs Jahre Gefängnis hinter sich, ohne Frauen, versteht sich.
    Mae entdeckte Marco, als er mit anderen Passanten über die Strada Maggiore ging, in Richtung Via Fondazza. Sie beschleunigte ihre Schritte, zog ein Mobiltelefon aus der Tasche und brachte es fertig, den Abstand zwischen sich und Marco zu verringern, während sie gleichzeitig wie eine gelangweilte Touristin aussah, die sich die Schaufenster ansah.
    Dann verschwand er. Er bog ganz plötzlich nach links in eine schmale Gasse ein, die Via Begatto, und lief nach Norden, von der Via Fondazza weg. Als sie um die Ecke bog, konnte sie ihn nicht mehr sehen.
25
    E ndlich wurde es in Bologna Frühling. Die letzten Schneeflocken waren geschmolzen, und am Vortag war das Thermometer bis auf zehn Grad geklettert. Als Marco noch vor Sonnenaufgang vor die Tür trat, überlegte er, ob er seine Winterjacke gegen eine andere eintauschen sollte. Er ging ein paar Schritte unter den dunklen Arkaden, wobei er die Temperatur prüfte, und kam zu dem Schluss, dass es kalt genug war. In ein paar Stunden konnte er immer noch zurückkommen und sich eine leichtere Jacke holen. Er steckte die Hände in die Taschen und begab sich auf seine morgendliche Wanderung.
    Der Artikel in der New York Times ging ihm nicht aus dem Kopf. Seinen Namen in fetten Lettern auf der Titelseite zu sehen hatte schmerzliche Erinnerungen geweckt. Das an sich war schon schlimm genug. Noch mehr ärgerte ihn aber, dass er nicht juristisch gegen die Behauptung, den Präsidenten bestochen zu haben, vorgehen konnte. In seinem früheren Leben hätte er den Tag damit begonnen, jeden einzelnen Beteiligten mit Prozessen zu überziehen. Die New York Times hätte keine Chance gehabt.
    Die Zweifel ließen ihn nicht los. Was bedeutete die ganze Aufmerksamkeit

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