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Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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moderner Narkotika langsam wieder an den Wachzustand herangeführt werden. Nach ein paar weiteren Tagen im Nebel hätten sie mit der Sodium-Pentothal-Behandlung begonnen, der Verabreichung des Wahrheitsserums, das immer die gewünschten Auskünfte herbeiführte, wenn das Verhör von erfahrenen Spezialisten geführt wurde.
    Dieser Plan war einfach und narrensicher. Die zweite Methode würde Monate in Anspruch nehmen, und der Erfolg war keineswegs garantiert.
    »Er trägt große Geheimnisse mit sich herum«, sagte Maynard.
    »Zweifellos.«
    »Aber das wussten wir schließlich, oder?«
    »Allerdings.«
5
    A ls der Skandal publik wurde, hatten zwei der drei Kinder Backmans den Kontakt zu ihrem Vater bereits abgebrochen. Neal, der Älteste, hatte ihm zweimal pro Monat einen Brief geschrieben, obwohl es ihm während der ersten Zeit der Haftstrafe ziemlich schwer gefallen war.
    Neal war fünfundzwanzig Jahre alt und Juniorpartner in der Kanzlei seines Vaters gewesen, als dieser seine Strafe antreten musste. Obwohl er nur wenig über »JAM« und »Neptun« wusste, war er vom FBI schikaniert und schließlich von der Bundesstaatsanwaltschaft angeklagt worden.
    Joels überstürzte Entscheidung, sich schuldig zu bekennen, war nicht nur durch den Tod Jacy Hubbards, sondern auch durch die Behandlung seines Sohnes vonseiten der Behörden entscheidend mitbestimmt worden. Die Verfahrensabsprache beinhaltete, dass alle Anklagen gegen Neal fallen gelassen wurden. Als sein Vater für zwanzig Jahre ins Gefängnis wanderte, kündigte Carl Pratt Neal umgehend und ließ ihn von bewaffnetem Sicherheitspersonal aus den Räumen der Kanzlei entfernen. Der Name Backman war ein Fluch, und in Washington war für den Sohn keine Arbeit mehr zu finden. Ein Freund, den er vom Jurastudium kannte, setzte sich bei einem Onkel, einem pensionierten Richter, für Neal ein.
    Nach einigen Telefonaten nahm Neal dankbar dessen Angebot an, nach Virginia zu ziehen, wo er in einer Kleinstadt namens Culpeper in eine Kanzlei mit fünf Mitarbeitern eintrat.
    Neal sehnte sich nach der Anonymität, dachte darüber nach, seinen Namen zu ändern, und weigerte sich, über seinen Vater zu reden. Er arbeitete im Bereich Eigentumsrecht und setzte Übertragungsurkunden und Testamente auf. Das Leben in der Kleinstadt sagte ihm zu. Schließlich heiratete er eine Frau aus Culpeper, die schnell ein Kind bekam – Joels erstes Enkelkind und das einzige, von dem er ein Foto besaß.
    Von der Entlassung seines Vaters erfuhr Neal durch die Washington Post. Er führte ein langes Gespräch mit seiner Frau und ein kurzes mit den Kollegen aus der Kanzlei. In Washington mochte die Story ein Erdbeben ausgelöst haben, doch Culpeper blieb von den Erschütterungen verschont. Niemand schien etwas zu wissen oder Interesse zu haben. Er war nicht der Sohn des berüchtigten Lobbyisten, sondern einfach nur Neal Backman, einer von vielen Anwälten in einer Kleinstadt des Südens.
    Nach einer Verhandlung nahm ihn ein Richter zur Seite. »Wo verstecken die Ihren alten Herrn?«, fragte er.
    »Das ist nicht gerade eines meiner Lieblingsthemen, Euer Ehren«, antwortete Neal respektvoll, und damit war das Gespräch beendet.
    In Culpeper schien sich nichts geändert zu haben. Neal ging seiner Arbeit nach, als hätte man einen Mann begnadigt, von dem er noch nie gehört hatte. Aber er wartete auf einen Anruf; irgendwann würde sein Vater sich melden.
    Schließlich ging die Oberschwester sammeln und brachte Kleingeld im Wert von drei Dollar mit. Die Summe war einem zunehmend schlechter gelaunten Patienten zugedacht, den sie immer noch »Major Herzog« nannten und dessen Gesundheitszustand sich zweifellos verschlechterte, weil er Hunger litt. Major Herzog nahm das Geld und marschierte zu einem Automaten im ersten Stock, wo er drei kleine Tüten Fritos-Mais-Chips und zwei Dosen Dr Peppers zog. Innerhalb von ein paar Minuten hatte er alles verputzt, und eine Stunde später saß er mit üblem Durchfall auf der Toilette.
    Aber zumindest war er jetzt nicht mehr ganz so hungrig. Und er war auch nicht mit Medikamenten voll gepumpt und sagte Dinge, die er nicht sagen wollte.
    Obwohl begnadigt und angeblich ein freier Mann, wurde er auf einem amerikanischen Militärstützpunkt in Gefangenschaft gehalten. In einem Raum, der kaum größer war als seine Zelle im Gefängnis. Das Essen dort war scheußlich gewesen, aber wenigstens hatte er nicht befürchten müssen, dass Betäubungsmittel daruntergemischt waren. Jetzt

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