Die Begnadigung
von »JAM«. Der patriotische Gesichtspunkt geriet langsam in Vergessenheit – es ging schlicht um zu viel Geld. Die Kanzlei vertrat ein niederländisches Unternehmen, das elektronische Geräte für die Flugzeuge der chinesischen Luftstreitkräfte lieferte, und das war eine gute Visitenkarte, wenn man ein lukratives Geschäft mit der Regierung in Peking abschließen wollte. Die Südkoreaner glaubten, ruhiger schlafen zu können, wenn sie wussten, was sich in Nordkorea abspielte. Die Syrer wollten ihre Staatskasse plündern, um die militärische Kommunikation der Israelis auszuschalten. Und ein Drogenkartell wollte Milliarden dafür hinblättern, die Maßnahmen der amerikanischen Drogenbehörde im Voraus erfahren zu können.
Mit jedem Tag wurden Joel Backman und seine Bande gieriger Anwälte reicher, und in den größten Büros der Kanzlei wurde über fast nichts anderes mehr gesprochen.
Der Arzt war ziemlich kurz angebunden und schien nicht viel Zeit für seinen neuen Patienten zu haben, aber schließlich war dies ein Militärkrankenhaus. Er überprüfte Puls und Blutdruck und untersuchte dann Herz, Lunge und Reflexe – das Übliche. Schließlich verkündete er aus heiterem Himmel: »Sie leiden unter Flüssigkeitsmangel.«
»Wie kommt das?«, fragte Backman.
»Ist nach langen Flügen nichts Ungewöhnliches. Wir verabreichen Ihnen eine Infusion, und in vierundzwanzig Stunden ist alles wieder in Ordnung.«
»Eine Infusion?«
»Genau.«
»Nicht mit mir.«
»Verzeihung?«
»Bin ich so schwer zu verstehen? Ich mag keine Nadeln.«
»Wir haben Ihnen doch auch Blut abgenommen.«
»Abgenommen, genau, aber jetzt soll mir etwas eingeflößt werden. Vergessen Sie’s, nicht mit mir.«
»Sie sind dehydriert.«
»Ich fühle mich aber nicht dehydriert.«
»Ich bin der Arzt, und ich sage, Sie sind dehydriert.«
»Dann geben Sie mir ein Glas Wasser.«
Eine halbe Stunde später betrat eine breit lächelnde Schwester mit Schlaftabletten und Medikamenten den Raum. Joel weigerte sich, die Schlaftabletten zu nehmen. Als sie mit einem subkutan zu injizierenden Medikament näher kam, fragte er: »Was ist das?«
»Ryax.«
»Was zum Teufel ist Ryax?«
»Ein Muskelrelaxans.«
»Zufällig sind meine Muskeln im Augenblick ziemlich entspannt. Ich habe nicht über verkrampfte Muskeln geklagt, und der Arzt hat nichts dergleichen diagnostiziert. Niemand hat mich nach meinen Muskeln gefragt.
Stecken Sie sich Ihr Ryax in den Arsch, dann sind wir beide entspannt und glücklich.«
Die Schwester hätte beinahe die Spritze fallen gelassen. Nach einer langen, quälenden Pause, während der sie kein Wort herausbrachte, stammelte sie schließlich: »Ich werde mit dem Arzt sprechen.«
»Tun Sie das. Wenn ich so darüber nachdenke, könnten Sie eigentlich ihm die Dosis in seinen fetten Hintern spritzen. Er ist schließlich derjenige, der sich entspannen muss.«
Aber sie hatte den Raum bereits verlassen.
Am anderen Ende des Militärstützpunkts tippte Sergeant McAuliffe eine E-Mail und schickte sie an das Pentagon. Von dort wurde sie fast sofort nach Langley weitergeleitet, wo sie von Julia Javier gelesen wurde, einer erfahrenen Mitarbeiterin, die CIA-Direktor Maynard mit dem Fall Backman betraut hatte. Keine zehn Minuten nach der Ryax-Episode starrte Miss Javier auf den Monitor und murmelte: »Verdammt.«
Dann ging sie nach oben, wo Teddy Maynard, in seine Decke gehüllt, am Ende eines langen Tisches saß und einen der zahllosen Berichte las, die ohne Unterlass auf seinem Schreibtisch landeten.
»Ich habe gerade eine Nachricht aus Aviano erhalten«, sagte Miss Javier. »Unser Freund verweigert sich jeder Medikation. Keine Infusion, keine Pillen.«
»Können sie ihm nicht was ins Essen mischen?«, fragte Maynard mit gedämpfter Stimme.
»Er isst nichts.«
»Warum nicht?«
»Angeblich hat er Magenprobleme.«
»Ist das denkbar?«
»Schwer zu sagen. Auf jeden Fall rennt er nicht zur Toilette.«
»Nimmt er Flüssigkeit zu sich?«
»Sie haben ihm ein Glas Wasser gebracht, das er aber abgelehnt hat. Er hat auf Mineralwasser bestanden, und als ihm jemand eine Flasche brachte, hat er überprüft, ob das Siegel am Deckel intakt war.«
Maynard schob den Bericht zur Seite und rieb sich die Augen. Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, Backman entweder durch eine Infusion oder eine normale Injektion ein starkes Sedativum zu verpassen, um ihn zu betäuben. Nach zwei Tagen unter Medikamenteneinfluss sollte er mithilfe einiger
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