Die Begnadigung
weiß, wo er im Moment ist, und wenn seine Leiche gefunden wird, hat kein Mensch eine Ahnung, dass er’s ist.«
»Falls sie gefunden wird.«
»Sie sagen es.«
»Und Backman ist das bewusst?«
Pratt kippte den Rest seines zweiten Drinks hinunter und wischte sich mit dem Ärmel die Lippen ab. »Backman ist alles andere als dumm«, sagte er stirnrunzelnd.
»Aber vieles von dem, was wir heute wissen, kam erst ans Tageslicht, als er schon hinter Gittern saß. Er hat sechs Jahre Einzelhaft überlebt – wahrscheinlich glaubt er jetzt, dass ihm nichts und niemand mehr etwas anhaben kann.«
Critz verschwand in einem Pub in der Nähe des Connaught-Hotels in London. Es hatte stärker zu regnen begonnen, und er musste ein trockenes Plätzchen finden. Mrs Critz war in dem kleinen Apartment geblieben, das der neue Arbeitgeber ihres Mannes bezahlte, während der die Freiheit genoss, sich in ein gut besuchtes Pub, wo ihn niemand kannte, zu setzen und ein paar Bier zu trinken. Von den zwei Wochen London war eine bereits herum, und bald würde er wieder den Atlantik überfliegen und in Washington einen miesen Job als Lobbyist einer Rüstungsfirma antreten, die unter anderem technisch unzulängliche Missiles herstellte. Das Pentagon wollte die Missiles nicht, aber es musste sie kaufen, weil der Konzern die richtigen Lobbyisten hatte.
Critz erblickte durch den dichten Zigarettenrauch eine freie Nische, stellte sein Bier auf den Tisch und zwängte sich hinein. Es war wunderbar, allein trinken zu können, ohne Gefahr zu laufen, dass ihn jemand entdeckte, zu ihm stürmte und sagte: »Hey, Critz, was habt ihr Idioten euch bei diesem Berman-Veto gedacht?« Blablabla.
Gut gelaunte Engländer kamen und gingen. Nicht einmal der Tabakqualm störte ihn. Er war allein und genoss die Anonymität.
Aber die Anonymität war nicht hundertprozentig.
Von hinten näherte sich ihm ein Mann mit einer ramponierten Seemannsmütze, der sich auf der anderen Seite des Tisches auf die Bank fallen ließ. Critz zuckte erschrocken zusammen.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich setze, Mr Critz?«, fragte der Seemann, dessen Lächeln große gelbe Zähne entblößte.
»Nehmen Sie Platz«, sagte Critz müde. »Haben Sie auch einen Namen?«
»Ben.« Der Seemann war kein Brite, Englisch nicht seine Muttersprache. Er war etwa dreißig und hatte dunkles Haar, dunkelbraune Augen und eine lange, spitze Nase. Er wirkte wie ein Grieche.
»Kein Nachname?« Critz trank einen Schluck Bier.
»Woher wissen Sie, wie ich heiße?«
»Ich weiß alles über Sie.«
»Mir war nicht bewusst, dass ich so berühmt bin.«
»Das ist vielleicht das falsche Wort, Mr Critz. Ich werde mich kurz fassen. Ich arbeite für ein paar Leute, die unbedingt Joel Backman finden wollen und sehr gut bezahlen. In bar. Bargeld in einem Karton oder auf einer Schweizer Bank, spielt keine Rolle. Das geht sehr schnell, innerhalb weniger Stunden. Sie sagen uns, wo er ist, streichen eine Million Dollar ein, und niemand wird je etwas davon erfahren.«
»Wie haben Sie mich gefunden?«
»Das war einfach. Mr Critz. Wir sind – lassen Sie es mich so sagen – Profis.«
»Spione?«
»Spielt keine Rolle. Wir sind, wer wir sind, und wir werden Mr Backman finden. Die Frage ist nur, ob Sie eine Million Dollar gebrauchen können.«
»Ich weiß nicht, wo er ist.«
»Aber Sie können es herausfinden.«
»Vielleicht.«
»Kommen wir ins Geschäft?«
»Nicht für eine Million.«
»Wie viel verlangen Sie?«
»Ich muss darüber nachdenken.«
»Dann beeilen Sie sich.«
»Und wenn ich nicht an die Information herankomme?«
»Dann werden wir uns nie Wiedersehen. Dieses Treffen hat nie stattgefunden. So einfach ist das.«
Critz trank einen großen Schluck Bier und dachte nach. »Okay, lassen Sie uns mal annehmen, ich kann an die Information herankommen, obwohl ich da nicht sehr optimistisch bin. Was wäre, wenn es mir gelingt?«
»Dann fliegen Sie mit der Lufthansa von Washington nach Amsterdam, first class, und mieten sich dort im Amstel-Hotel in der Biddenham Straat ein. Wir werden Sie schon finden, genauso wie hier.«
Critz prägte sich schweigend die Details ein. »Wann?«, fragte er schließlich.
»So bald wie möglich, Mr Critz. Es gibt noch andere, die nach ihm suchen.«
Ben verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war, und Critz starrte in den Tabakqualm und fragte sich, ob alles nur ein Traum gewesen war. Nach einer Stunde verließ er das Pub, sein Gesicht unter dem
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