Die Begnadigung
werden sollte: ein herzhaftes Gericht, bei dem Fisch, Schweinefleisch, Geflügel oder Lamm serviert wurde. Vorsicht mit den Desserts, warnte Luigi, während er sich vergewisserte, dass der Kellner nicht mithörte. Er schüttelte traurig den Kopf und erklärte, viele gute Restaurants seien dazu übergegangen, Süßspeisen außerhalb des Hauses zu bestellen, und die seien so überzuckert oder mit billigem Likör getränkt, dass sie einem unweigerlich die Zähne zerstörten.
Ein nationaler Skandal. Marco schaffte es, einigermaßen schockiert zu wirken.
»Kennen Sie schon das Wort gelato ?«, fragte Luigi, nun wieder mit strahlenden Augen.
»Eis«, antwortete Marco.
»Bravo. Besseres Eis als unseres werden Sie auf der ganzen Welt nicht finden. Ein paar Schritte weiter gibt es eine Gelateria, da gehen wir nach dem Essen hin.«
Der Zimmerservice war bis Mitternacht erreichbar, und um fünf vor zwölf griff Marco zögernd nach dem Haustelefon und wählte zweimal die 4. Er schluckte schwer und hielt den Atem an. Eine halbe Stunde lang hatte er für dieses Gespräch geübt.
Es klingelte ein paarmal, und zweimal war Marco versucht aufzulegen. Dann meldete sich eine schläfrig klingende Stimme. » Buonasera. «
Marco schloss die Augen. » Buonasera. Vorrei un caffè, per favore. Un espresso doppio. «
» Sì. Latte e zucchero? «
» No, senza latte e zucchero. «
» Sì, cinque minuti. «
» Grazie. « Marco legte schnell auf, um jedem weiteren Wort zuvorzukommen, doch da die Stimme am anderen Ende nicht gerade begeistert geklungen hatte, bezweifelte er, dass es dazu gekommen wäre. Er sprang auf, reckte eine Faust in die Luft und gratulierte sich dann zu seinem ersten Gespräch auf Italienisch, indem er sich auf die Schulter klopfte. Es war alles glatt gegangen und hatte keinerlei Verständnisprobleme gegeben.
Um ein Uhr nippte er noch immer an seinem doppelten Espresso. Auch wenn er längst kalt war, er genoss ihn. Mittlerweile hatte er schon die Hälfte von Lektion drei bewältigt, und da er nicht einmal im Entferntesten an Schlaf dachte, kam ihm die Idee, schon vor der ersten Sitzung bei Ermanno das ganze Lehrbuch zu verschlingen.
Er klopfte zehn Minuten zu früh an die Wohnungstür. Obwohl er dagegen anzukämpfen versuchte, fiel er instinktiv immer wieder in die alte Angewohnheit zurück, alles unter Kontrolle haben zu wollen. Ihm war es lieber, wenn er bestimmte, wann die Unterrichtsstunde begann. Zehn Minuten früher oder später, um die Zeit ging es dabei nicht. Während er in dem schäbigen Treppenhaus wartete, musste er an die Führungskräfte aus der Wirtschaft und die hohen Tiere der Regierungsbehörden denken, die er früher in seinem riesigen Konferenzraum empfangen hatte. Obwohl der nur fünfzig Schritte von seinem Büro entfernt lag, war er immer zwanzig Minuten zu spät gekommen und hatte sich damit entschuldigt, durch ein Telefonat mit dem Büro des Premierministers irgendeines unbedeutenden Landes aufgehalten worden zu sein.
Ziemlich erbärmlich, diese Masche.
Ermanno war augenscheinlich nicht beeindruckt. Er ließ seinen Schüler mindestens fünf Minuten warten, bevor er mit einem schüchternen Lächeln die Tür öffnete und ihn mit einem freundlichen » Buongiorno, Signor Lazzeri « begrüßte.
» Buongiorno, Ermanno. Come sta? «
» Molto bene, grazie, e Lei? «
» Molto bene, grazie. «
Ermanno öffnete die Tür ein Stück weiter und bat Marco mit einer ausladenden Handbewegung herein.
» Prego. «
Wieder war Marco überrascht, wie spartanisch die Wohnung eingerichtet war und wie provisorisch alles wirkte. Er legte seine Bücher auf den kleinen Tisch in der Mitte des Wohnzimmers und beschloss, den Mantel anzubehalten. Draußen war es fünf Grad über null, in der Wohnung kaum wärmer.
» Vuole un caffè? «, fragte Ermanno.
» Sì, grazie. « Marco hatte ungefähr zwei Stunden geschlafen, von vier bis sechs. Nachdem er geduscht und sich angezogen hatte, war er durch die Straßen von Treviso gelaufen und hatte un bar gefunden, wo alte Männer Espresso tranken und alle auf einmal redeten. Er wollte erneut einen Espresso, brauchte aber vor allem etwas zu essen. Ein Croissant oder einen Muffin, irgendetwas in der Art, etwas, dessen Namen er noch nicht kannte. Doch dann beschloss er, dass er seinen Hunger noch bis zum Mittagessen ignorieren konnte, wenn Luigi ihn erneut zu einem italienischen Festmahl einladen würde.
»Sie sind Student, habe ich das richtig verstanden?«,
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