Die Begnadigung
Woche hier eingezogen. Dies ist ein sicheres Haus, und Sie sind nicht das, was Sie zu sein vorgeben.«
»Dann wären wir schon zu zweit.« Ermanno stand auf und ging durch die winzige Küche in den hinteren Teil der Wohnung. Er kam mit einem Stapel Papier zurück, den er vor Marco auf den Tisch warf. Es waren Immatrikulationsunterlagen der Universität von Bologna, darunter eine Seite, auf der der Name Ermanno Rosconi mit der Adresse der Wohnung verzeichnet war, in der sie sich gerade aufhielten.
»Das neue Semester geht bald los«, sagte Ermanno.
»Möchten Sie noch einen Kaffee?«
Marco überflog die Formulare. Er verstand gerade so viel, dass er erschließen konnte, wozu sie dienten. »Ja, bitte«, entgegnete er. Papier war geduldig – und Dokumente ließen sich fälschen. Wenn das hier allerdings Fälschungen waren, dann waren sie erstklassig gemacht. Ermanno verschwand in der Küche und drehte den Wasserhahn auf.
Marco schob den Stuhl zurück und stand vom Tisch auf. »Ich gehe eine Runde um den Block«, sagte er. »Ich brauche einen klaren Kopf.«
Das Abendessen bot wieder einmal eine Überraschung. Marco hatte sich mit Luigi auf der Piazza dei Signori vor einer Tabaccheria getroffen, und nun gingen sie zusammen eine belebte Einkaufsstraße entlang. Die Ladeninhaber waren im Begriff, ihre Türen zu verriegeln. Es war bereits dunkel und sehr kalt, und elegante Geschäftsleute, mit Hut und Schal gegen die Kälte gewappnet, eilten von der Arbeit nach Hause.
Luigi hatte die behandschuhten Hände tief in den wollenen Taschen seines knielangen Mantels vergraben. Das aus grobem Stoff gefertigte Stück konnte von seinem Großvater stammen, aber ebenso gut aus einer furchtbar teuren Mailänder Designerboutique. Jedenfalls sah er ungeheuer elegant darin aus, und Marco empfand wieder einmal Neid auf den lässigen Schick seines Kontaktmanns.
Luigi hatte es nicht eilig und schien die Kälte zu genießen. Er machte ein paar Bemerkungen auf Italienisch, aber Marco ging nicht darauf ein. »Bitte, Luigi«, sagte er zweimal. »Ich muss mal wieder meine Muttersprache sprechen.«
»Also gut. Wie war Ihr zweiter Unterrichtstag?«
»Gut. Ermanno ist in Ordnung. Er hat zwar keinen Sinn für Humor, aber er ist ein guter Lehrer.«
»Machen Sie Fortschritte?«
»Wie sollte ich wohl keine machen?«
»Ermanno hat mir erzählt, Sie hätten ein gutes Gefühl für die Sprache.«
»Ermanno ist ein Schwindler, und das wissen Sie. Ich strenge mich an, weil viel davon abhängt. Ich werde sechs Stunden am Tag von ihm gedrillt, und abends sitze ich noch mal drei Stunden da und pauke. Logisch, dass ich Fortschritte mache.«
»Sie strengen sich sehr an, ja«, sagte Luigi. Er blieb vor einem kleinen Imbissrestaurant stehen. »Hier werden Sie zu Abend essen, Marco.«
Marco war alles andere als begeistert. Die Ladenfront war keine fünf Meter breit. Im Fenster drängten sich drei Tische, und es schien ziemlich voll zu sein. »Muss das sein?«, fragte er.
»Man isst hier sehr gut. Es gibt kleine Gerichte, belegte Brötchen und solche Dinge. Sie werden allein hineingehen. Ich komme nicht mit.«
Marco sah ihn an und wollte schon protestieren, doch dann fasste er sich wieder und lächelte, als freute er sich über die Herausforderung.
»Was es gibt, steht auf einer Tafel über der Kasse, natürlich nur auf Italienisch. Sie bestellen, zahlen und holen sich Ihr Essen dann am hinteren Ende der Theke ab. Am besten setzen Sie sich gleich dorthin, sofern Sie einen Barhocker ergattern können. Das Trinkgeld ist hier übrigens im Preis inbegriffen.«
»Was ist die Spezialität des Hauses?«
»Die Pizza mit Artischocken und Schinken ist sehr gut. Das Gleiche gilt für die Panini. Wir treffen uns in einer Stunde wieder, da drüben am Springbrunnen.«
Marco biss die Zähne zusammen und betrat das Lokal. Er kam sich ziemlich allein gelassen vor. Während er hinter zwei jungen Frauen wartete, suchte er verzweifelt die Speisekarte nach etwas ab, das er aussprechen konnte. Ihn interessierte weniger der Geschmack – seine ganze Sorge galt dem Bestell- und Bezahlvorgang. Zum Glück war die Kassiererin eine Dame mittleren Alters, die offensichtlich gern lächelte. Marco bedachte sie mit einem freundlichen » Buonasera « , und ehe sie etwas erwidern konnte, bestellte er » Panino prosciutto e formaggio « – ein Schinken-Käse-Brötchen – und dazu » una Coca-Cola « .
Die gute alte Coke. In jeder Sprache sofort wieder zu erkennen.
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