Die Begnadigung
Präsident fordert Sie zum Rücktritt auf.
Stattdessen sagte der Vizepräsident etwas gänzlich Unerwartetes. »Mr Maynard, der Präsident wünscht, über Joel Backman informiert zu werden.«
Teddy Maynard brachte längst nichts mehr aus der Fassung. »Was ist mit ihm?«, erkundigte er sich ohne die geringste Verzögerung.
»Der Präsident möchte wissen, wo er sich aufhält und wie lange es dauern würde, ihn in die Staaten zurückzuholen.«
»Warum?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Dann kann ich auch nichts sagen.«
»Es ist für den Präsidenten aber sehr wichtig.«
»Nun, das verstehe ich. Aber Mr Backman ist auch für unsere laufenden Operationen sehr wichtig.«
Der Vizepräsident blinzelte und sah zur Seite. Sein Berater hatte sich in seine Notizen vergraben, von ihm war Hilfe nicht zu erwarten. Sie durften der CIA auf keinen Fall von den Überweisungen und dem erkauften Straferlass erzählen. Maynard würde dieses kostbare Stück Information sofort nutzen, um sich seinen Posten zu sichern. Wenn sie verhindern wollten, dass er Katz und Maus mit ihnen spielte, musste er verschwinden.
Der Vizepräsident beugte sich vor und stützte sich mit einem Ellbogen auf. »Der Präsident ist nicht bereit, in dieser Sache nachzugeben, Mr Maynard. Er wird diese Auskünfte bekommen, und zwar bald. Andernfalls wird er Sie zum Rücktritt auffordern.«
»Ich trete nicht zurück.«
»Muss ich Sie daran erinnern, dass er über Ihr Amt verfügt?«
»Das müssen Sie nicht, nein.«
»Sehr gut. Dann sind die Fronten geklärt. Sie kommen mit der Backman-Akte ins Weiße Haus und sprechen sie ausführlich mit uns durch, sonst hat die CIA bald einen neuen Direktor.«
»So unverblümt kennt man Leute wie Sie gar nicht – bei allem gebührenden Respekt.«
»Ich fasse das als Kompliment auf.«
Damit war die Unterredung beendet.
Das Hoover Building war etwa so dicht wie ein lecker Eimer, und die Gerüchte regneten geradezu auf die Straßen von Washington herab. Sie dort aufzusammeln war unter anderem die Aufgabe von Dan Sandberg von der Washington Post. Im Gegensatz zum durchschnittlichen Enthüllungsjournalisten verfügte er über hervorragende Quellen, und so dauerte es nicht lange, bis er Wind von dem Skandal um die Begnadigungen bekam. Ein alter Maulwurf im Weißen Haus bestätigte ihm in groben Zügen, was er gehört hatte. Im Grunde gab es keinen Zweifel an der Geschichte, doch Sandberg wusste, dass er nur schwer an die Fakten herankommen würde. Die Belege der Überweisungen würde er jedenfalls mit Sicherheit nicht einsehen können.
Aber wenn es stimmte – ein US-Präsident sprach zum Ende seiner Amtszeit Straferlasse gegen Geld aus, um sich die Rente ein wenig aufzubessern –, dann war es eine Sensation. Ein US-Präsident unter Anklage, vor Gericht, vielleicht sogar zu einer Haftstrafe verurteilt … unfassbar.
Sandberg saß an seinem von Papierbergen überwucherten Schreibtisch, als ein Anruf aus London kam. Am anderen Ende war ein alter Freund, der für den Guardian arbeitete und seine Beiträge ebenso gründlich recherchierte wie er. Sie sprachen ein paar Minuten lang über die neue Administration, das offizielle Titelthema in Washington. Es war Anfang Februar, dichter Schnee fiel, und der Kongress war mit der Arbeit in den Ausschüssen beschäftigt. Das Leben in der Hauptstadt verlief relativ ereignislos, und es gab wenig anderen Gesprächsstoff.
»Gibt’s was Neues zum Tod von Bob Critz?«, fragte der Freund.
»Nein. Gestern war die Beerdigung«, entgegnete Sandberg. »Warum?«
»Na ja, es ist noch nicht abschließend geklärt, wie der arme Kerl wirklich gestorben ist, weißt du. Es gibt ein paar offene Fragen. Außerdem kommen wir nicht an den Autopsiebericht heran.«
»Was denn für offene Fragen? Ich dachte, der Fall wäre klar.«
»Schon möglich, aber er wurde etwas zu schnell zu den Akten gelegt. Ich habe nichts Konkretes in der Hand, wollte nur mal hören, ob bei euch drüben vielleicht was faul ist.«
»Ich könnte mich ein wenig umhören«, schlug Sandberg vor, dessen Neugier längst geweckt war.
»Tu das. Telefonieren wir in ein, zwei Tagen wieder.«
Sandberg legte auf und starrte auf seinen Computerbildschirm. Critz war mit Gewissheit dabei gewesen, als Morgan in letzter Minute die Straferlasse beschlossen hatte. Angesichts des Verfolgungswahns der beiden war sogar anzunehmen, dass Critz mit Morgan allein im Oval Office gewesen war, als der die Entscheidung getroffen und die
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