Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Luigi, aber seit er sich angewöhnt hatte, jeden Tag mehrere Kilometer durch die Stadt zu laufen, war er besser in Form. Außerdem rauchte er nicht, trank nur in Maßen und schien sich nicht im Geringsten für Frauen und Bolognas Nachtleben zu interessieren. Dazu kam, dass er die letzten sechs Jahre in einem Käfig verbracht hatte. Kein Wunder, dass er stundenlang durch die Straßen wandern konnte.
    Die neuen Schuhe trug er jeden Tag. Luigi hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sie zu präparieren. Sie blieben wanzenfrei und gaben kein Signal von sich. Whitaker in Mailand machte sich Sorgen deshalb, aber er machte sich über alles und jedes Sorgen. Luigi war fest davon überzeugt, dass Marco Bologna auf keinen Fall verlassen würde, selbst wenn er hunderte von Kilometern in der Stadt herumspazierte. Manchmal verlor er Marco für eine Weile aus den Augen, während dieser die Straßen erkundete oder etwas besichtigte, aber er fand ihn immer wieder.
    Marco bog in die Via Santo Stefano, eine breite Straße, die sich von der südöstlichen Ecke der Altstadt bis in das Zentrum um die Piazza Maggiore zog. Luigi ging über die Straße und folgte Marco auf der anderen Seite. Praktisch im Dauerlauf nahm er über das Funkgerät Kontakt zu Zellman auf, seinem neuen Mann, den Whitaker geschickt hatte, um das Netz noch etwas enger zu ziehen. Zellman wartete auf der Strada Maggiore, einer anderen Hauptstraße, die zwischen dem sicheren Haus und der Universität verlief.
    Zellmans Ankunft war ein Hinweis darauf, dass die heiße Phase des Plans begonnen hatte. Luigi kannte inzwischen fast alle Einzelheiten und bedauerte aufrichtig, dass Marcos Tage gezählt waren. Er wusste nicht, wer ihn ausschalten würde, und so, wie es aussah, wusste Whitaker es auch nicht.
    Luigi hoffte, dass er nicht selbst Hand anlegen musste. Er hatte bereits zwei Männer getötet und zog es vor, solchen Aktionen aus dem Weg zu gehen. Außerdem mochte er Marco.
    Bevor Zellman übernehmen konnte, war Marco verschwunden. Luigi blieb stehen und lauschte. Er presste sich in einen Hauseingang, nur für den Fall, dass Marco ebenfalls stehen geblieben war.
     
    Marco hörte ihn hinter sich, die schweren Schritte, den keuchenden Atem. Schnell nach links in eine schmale Gasse, Via Castellata, fünfzig Meter gerannt, dann wieder nach links in die Via de’ Chiari und ein abrupter Richtungswechsel, von Norden nach Westen, anschließend ein flotter Marsch durch die Straßen, bis er nach einer Weile zu einer Lücke in den Gebäuden kam, einem kleinen, quadratischen Platz namens Piazza Cavour. Er kannte die Altstadt inzwischen so gut wie seine Westentasche, die Boulevards, Passagen, Sackgassen, Kreuzungen, das Gewirr der krummen, kleinen Sträßchen, die Namen der Plätze und fast aller Geschäfte und kleinen Läden. Er wusste, welche Tabakläden um sechs Uhr öffneten und welche um sieben. Er konnte auf Anhieb fünf Cafés finden, die schon bei Sonnenaufgang brechend voll waren, obwohl die meisten erst aufmachten, wenn es hell geworden war. Er wusste, an welchen Tisch am Fenster er sich setzen musste, um versteckt hinter einer Zeitung den Gehsteig beobachten zu können, bis irgendwann Luigi vorbeikam.
    Er konnte Luigi jederzeit abschütteln, spielte aber fast jeden Tag brav mit und ließ sich bereitwillig verfolgen. Doch die Tatsache, dass er die ganze Zeit unter Beobachtung stand, sprach Bände.
    Sie wollen nicht, dass ich verschwinde, sagte er sich immer wieder. Und warum? Weil es einen ganz bestimmten Grund dafür gibt, dass ich hier bin.
    Er bewegte sich in einem weiten Bogen in den Westen der Stadt, weit weg von den Vierteln, in denen man ihn vermutete. Nachdem er fast eine Stunde lang im Zickzack durch Dutzende kleine Straßen und Gassen gelaufen war, trat er auf die Via Irnerio hinaus und beobachtete die Passanten. Das Fontana lag genau auf der anderen Straßenseite. Er wurde von niemandem beobachtet.
    Viscovitch saß im hinteren Teil des Cafés und hatte den Kopf in seiner Morgenzeitung vergraben, hinter der bläulicher Pfeifenrauch in einer langsamen, trägen Spirale aufstieg. Sie hatten sich seit zehn Tagen nicht gesehen, und nach der herzlichen Begrüßung war Viscovitchs erste Frage: »Sind Sie in Venedig gewesen?«
    Ja, ein wunderbarer Ausflug. Marco erwähnte die Namen sämtlicher Sehenswürdigkeiten, die er in einem Reiseführer gefunden und auswendig gelernt hatte. Er schwärmte von der Schönheit der Kanäle, der erstaunlichen Vielfalt der Brücken, den

Weitere Kostenlose Bücher