Die Begnadigung
Es hatte vier Räume – zwei mit Stockbetten, in denen Efraim und seine drei Kameraden schliefen, eine kleine Küche, in der sie sich ihre einfachen Mahlzeiten kochten, und ein großes, chaotisch wirkendes Arbeitszimmer, in dem sie viele Stunden am Tag damit verbrachten, eine Operation zu planen, die vor sechs Jahren von einem Tag auf den anderen abgeblasen worden war, jetzt aber wieder zu den wichtigsten Prioritäten des Mossad zählte.
Die vier waren Mitglieder einer »Kidon«, einer kleinen Einheit hoch spezialisierter Einsatzkräfte, die in erster Linie für Liquidierungen zuständig war. Schnelle, effiziente, unauffällige Liquidierungen. Die Zielpersonen waren Feinde Israels, denen kein Prozess gemacht werden konnte, weil die Gerichte keine Zuständigkeit besaßen. Die meisten Zielpersonen hielten sich in arabischen und islamischen Ländern auf, allerdings wurden Kidon auch häufig im ehemaligen Ostblock, in Europa, Asien und den Vereinigten Staaten eingesetzt. Für sie gab es weder Grenzen noch Hindernisse. Nichts konnte sie davon abhalten, jene zu beseitigen, die Israel vernichten wollten. Die Frauen und Männer der Kidon besaßen die Lizenz, für ihr Land zu töten. Wenn die Liquidierung einer Zielperson erst einmal schriftlich vom Premierminister genehmigt war, wurde ein Operationsplan entwickelt, eine Einheit organisiert, und der Feind Israels war schon so gut wie tot. Grünes Licht von der Spitze des Staates zu bekommen war nur selten ein Problem.
Efraim warf eine Tüte mit Gebäck auf einen der Campingtische, an denen Rafi und Shaul über ihren Unterlagen brüteten. Amos saß in einer Ecke vor dem Computer und war in Stadtpläne von Bologna vertieft.
Die meisten ihrer Unterlagen waren inzwischen veraltet, darunter zahllose Seiten mit nutzlosen Hintergrundinformationen über Joel Backman, die vor Jahren zusammengetragen worden waren. Sie wussten alles über sein chaotisches Privatleben – über die drei Ex-Frauen, die drei Kinder, die ehemaligen Partner, die Freundinnen, die Mandanten, die früheren Freunde aus Washingtons Machtzirkeln. Als die Liquidierung vor sechs Jahren genehmigt worden war, hatte eine andere Kidon die Hintergrundinformationen zu Backman in aller Eile zusammengestellt. Ein erster Plan, nach dem Backman bei einem Autounfall in Washington ums Leben kommen sollte, war verworfen worden, als er sich plötzlich für schuldig erklärt hatte und ins Gefängnis geflüchtet war. In der Schutzhaft in Rudley konnte ihn nicht einmal eine Kidon erreichen.
Die Hintergrundinformationen waren jetzt nur noch wichtig, weil darin auch sein Sohn erwähnt wurde. Seit Backman vor sieben Wochen überraschend freigekommen und dann sofort verschwunden war, ließ der Mossad Neal Backman von zwei Agenten überwachen, einem Mann und einer Frau. Sie wechselten sich alle drei bis vier Tage ab, damit niemand in Culpeper Verdacht schöpfte. In kleinen Städten mit neugierigen Nachbarn und gelangweilten Polizeibeamten konnte eine Observation zum echten Problem werden. Die Frau, eine hübsche Agentin mit deutschem Akzent, hatte es fertig gebracht, Neal auf der Hauptstraße in ein Gespräch zu verwickeln. Sie hatte sich als Touristin ausgegeben und nach dem Weg zu dem nahe gelegenen Haus von Ex-Präsident James Madison gefragt. Dann hatte sie mit ihm geflirtet – oder es jedenfalls versucht – und durchblicken lassen, dass sie zu mehr bereit war. Er hatte den Köder nicht geschluckt. Der Mossad hatte Wanzen in seinem Haus und der Kanzlei installiert und hörte die Gespräche ab, die er über sein Mobiltelefon führte. Von einem Labor in Tel Aviv aus fingen sie sämtliche E-Mails ab, die er im Büro und zu Hause schrieb. Sie überwachten sein Bankkonto und den Einsatz seiner Kreditkarte. Sie wussten, dass er vor sechs Tagen nach Alexandria gefahren war, aber sie wussten nicht, warum.
Der Mossad beobachtete auch Backmans Mutter in Oakland, aber der alten Dame ging es zunehmend schlechter. Schon seit Jahren spielte man mit der Idee, ihr eine der Giftpillen aus dem großen Arsenal der Kidon zu verabreichen. Doch die Vorschriften, die für die Kidon galten, verboten die Liquidierung von Familienangehörigen, es sei denn, diese stellten ebenfalls eine Bedrohung für die Sicherheit des Staates Israel dar.
Allerdings war der Anschlag mit der Giftpille noch nicht zu den Akten gelegt worden, und Amos war ihr eifrigster Befürworter.
Sie wollten Backman umbringen, aber sie wollten auch, dass er noch einige Stunden
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