Die Begnadigung
der seine kranke Assistentin Runkels Klauen wieder entreißen wollte … und die Kranke, die sich in die ›See-Klinik‹ zurückbringen ließ.
Der Rückfahrt Mariannes war ein kurzer, aber heftiger Wortwechsel mit Wüllner vorausgegangen.
Wüllner stand am Fußende ihres Bettes, als sie erwachte.
»Marianne«, sagte er. Sein Gesicht war zerfurcht. Er hatte die Nacht nicht geschlafen. Gegen Morgen war er eine Weile im Klinikgarten spazieren gegangen, war dann aber gleich wieder an ihr Bett geeilt, um bei ihr zu sein, wenn sie die Augen aufschlug und entdeckte, daß sie in einem fremden Raum lag. Auf dem Rückweg zu ihr hatte ihn eine Oberschwester aufgehalten und ihm mitgeteilt, daß es Dr. Pechl von Professor Runkel aus freigestellt sei, die Klinik auf der Stelle zu verlassen, falls sie darauf bestehe.
Marianne Pechl sah Dr. Wüllner an, als sehe sie ihn zum erstenmal. Es war der Blick einer Frau, die sich maßlos wundert, wie ein Unbekannter sich erlauben kann, sie Marianne zu nennen.
»Marianne«, wiederholte er noch zaghafter als zuvor, setzte dann aber überraschend hinzu: »Wir können sofort fahren, Marianne.«
»Gewiß«, erwiderte sie, »das habe ich auch vor. Aber wieso sagen Sie wir? Wollen Sie mitfahren? Sie wollen mit zurück zu Hansen?«
»Selbstverständlich.« Wüllner ballte wieder die Hände zu Fäusten. Daß Marianne ihn wieder mit Sie anredete, zeigte ihm, daß er sie zu Lebzeiten bereits verloren hatte. Auch das buchte er auf das Schuldkonto Hansens.
»Ich möchte allein fahren!« sagte Marianne laut.
»Marianne …«
»Sie widern mich an, Herr Wüllner!«
Das war im Moment zuviel für Wüllner. »Gut«, sagte er. »Aber es wird mich nicht hindern, mit Hansen abzurechnen.«
»Abrechnen?« Marianne sah zu Wüllner empor, als habe ihr ein ungezogener Junge ein böses Wort zugerufen. »Was können Sie schon abrechnen …« Es lag soviel Verachtung in ihrer Stimme, daß Wüllner blutrot wurde, sich abwandte und den Gang hinunter ins Freie lief …
Später, als sie abfuhren, saß er dann doch neben dem Fahrer. Sie war sehr matt, es war ihr gleichgültig …
Eine halbe Stunde später traf Dr. Hansen in der Stadt ein. Färber operierte eine Galle … Professor Runkel hatte sein Kolleg gerade beendet, saß in seinem Zimmer und las einige Anträge für Obergutachten durch.
Als ihm die Sekretärin den Besuch Dr. Hansens meldete, zog er bloß die rechte Augenbraue hoch und sah auf die Tischuhr. Im geheimen hatte er darauf gewartet, daß Hansen kommen würde.
»Sagen Sie dem Kollegen«, sagte Runkel, »daß ich heute vormittag besetzt bin. Sagen Sie es ihm höflich. Ich bin gern bereit, ihn übermorgen zwischen sechzehn Uhr und sechzehn Uhr dreißig zu empfangen. Meine Zeit gehört den Kranken, und sie ist knapp genug.«
Hansen nahm die Absage Runkels wie selbstverständlich hin. Er übersah auch den langen Blick der Chefsekretärin.
»Gehen Sie noch einmal hinein und fragen Sie, ob ich Fräulein Doktor Pechl sehen kann.«
»Fräulein Doktor ist heute morgen zurückgefahren.« Die Sekretärin sah Hansen verwundert an. Wieso weiß er das noch nicht, dachte sie. Er kommt doch aus Plön.
»So? Sie ist schon wieder fort?« Hansen zögerte, als wolle er noch etwas fragen. Dann wandte er sich um und verließ das Vorzimmer Runkels und die Klinik.
Als er am OP-Trakt vorbeiging, schwang die Tür gerade auf. Er sah für den Bruchteil einer Sekunde den langen, weißen Gang, die Ärzte, die herumstanden, die Pfleger, die Rollbetten. Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich die Blicke Färbers und Hansens. Dann schwang die Tür wieder zu.
Färber zögerte einen Moment. War es wirklich Hansen? Oder narrte eine Ähnlichkeit seine überreizten Nerven? Er zerdrückte eine Zigarette, die er im Gang geraucht hatte, und rannte zur Pendeltür.
Das Treppenhaus war leer. »Haben Sie Doktor Hansen eben gesehen?« rief er einem Assistenzarzt zu, der vor einer Zimmertür mit einer Schwester schäkerte.
»Hier? Nein, Herr Oberarzt. Hier war niemand …«
»Danke …« Färber ging zurück in den OP-Trakt.
Die nächste Operation war vorbereitet. Man wartete nur noch auf den Chef. Runkel wollte sie selbst machen.
Dummheit, dachte Färber. Niemals kommt Hansen hierher. Diese Blamage erspart er sich.
Zehn Minuten später erschien Professor Runkel. Er ging sofort auf Dr. Färber zu. »Na, haben Sie Hansen gesehen?« fragte er.
Färber wurde rot. »War er denn hier?«
»Aber ja. Er lief seiner kleinen
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