Die Begnadigung
Ärztin nach. Leider hatte ich keine Zeit für ihn …«
Er ließ Färber stehen und ging in den Vorbereitungsraum. Der Schwarm der Assistenten folgte ihm. Allein stand Färber im Flur und starrte auf die schwarze Tafel mit dem Operationsplan.
Er war es also doch, dachte er. Welch einen Mut muß dieser Mann haben …
Wottke war der erste, der den Krankenwagen noch auf der Chaussee kommen sah. Er stand auf dem flachen Dach der Klinik und lackierte eine Gartenschaukel. Von hier aus hatte er einen Blick weit über den See und die Straße bis fast nach Plön.
»Sie kommt!« schrie Wottke in das nächste Telefon des obersten Stockwerkes.
Dr. Adenberg, Dr. Reitmayer und Dr. Summring rannten daraufhin zum Eingang und bauten sich auf. Wie eine kleine weiße Mauer standen sie, als der Krankenwagen hielt und Dr. Wüllner langsam herausstieg.
Zwei Krankenpfleger rissen die Tür des Transportraumes auf und zogen die Trage heraus. Mit einem schwachen Lächeln begrüßte Marianne Pechl die Kollegen … Sie hob die Hand und winkte ihnen zu. Dann sah sie die verschlossenen, feindlichen Gesichter und den neben dem Wagen stehenden, zögernden Wüllner.
»Zerreißt ihn nicht, Kinder«, sagte sie mühsam. »Verachtet ihn bloß … Er ist für uns nicht mehr da …«
Was weiter geschah, sah und hörte sie nicht mehr. Sie wurde schnell ins Haus getragen, wo Wottke und Lisbeth sie ins Zimmer begleiteten.
Dr. Wüllner stand noch immer am Wagen. Er wagte es nicht, die kleine weiße Mauer vor dem Eingang zu durchbrechen. Auch als der Wagen abfuhr, stand er noch auf demselben Fleck. Allein, wie ein Delinquent, der auf die Salve wartet.
»Geh …«, sagte Dr. Reitmayer.
»Erst spreche ich mit dem Chef!« sagte Wüllner heiser.
»Er ist nicht da …«
»Dann warte ich!«
»Bitte! Aber das Haus betrittst du nicht mehr!«
Die Ärzte wandten sich um. Wottke erschien in der Tür. Wie ein Wächter baute er seine massige Gestalt in den Eingang.
Wüllner wandte sich ab. Mit kleinen Schritten ging er hin und her. So breit wie der Eingang war … hin und zurück. Immer und immer wieder.
Selbst als es zu regnen begann, verließ er seinen Platz nicht. Er schlug den Mantelkragen hoch und ging weiter hin und zurück. Immer und immer wieder.
In der Tür stand Wottke.
»Ick esse hier im Stehen!« rief er ins Haus zurück, als Lisbeth ihn hereinholen wollte.
Um die Mittagszeit fuhr Hansens Wagen die Auffahrt hinauf. Wüllner steckte die Hände in die Manteltaschen. Breitbeinig pflanzte er sich vor der Treppe auf …
Hansen nahm seine Aktenmappe vom Hintersitz, stieg aus und ging auf Wüllner zu. Auf der Rückfahrt hatte er sich überlegt, was ihn in der Klinik erwarten könnte. Daß es zu einer Aussprache mit Wüllner kommen würde, war sicher … verblüfft war er nur, daß er seinem Oberarzt vor dem Hauptportal begegnete, wie er im Regen hin und her marschierte.
»Was machen Sie denn hier?« fragte Hansen, als er vor Wüllner stand.
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen!«
»Ob Sie mit mir oder ich mit Ihnen – das wird sich zeigen. Auf keinen Fall aber hier draußen …«
Wüllner warf einen Blick zurück zur Tür. Dort stand immer noch Wottke, mit geballten Fäusten.
»Man läßt mich nicht ins Haus …«, sagte Wüllner heiser. »Als ob ich ein Schuft bin …«
Durch die Betonung gewann der Satz eine Stoßkraft, die Hansen unmittelbar traf. Aber er verkniff sich die Antwort darauf. Mit ein paar Sprüngen nahm er die Treppe.
»Ihr seid die reinsten Idioten!« sagte er laut, als er an Wottke vorbeiging.
»Ick polier ihm das Gesicht!« schrie Wottke.
In der Eingangshalle kamen Dr. Summring und Dr. Adenberg Hansen entgegengelaufen. »Chef!« riefen sie wie aus einem Mund. »Gut, daß Sie wieder da sind. Marianne bittet Sie, doch gleich zu ihr zu kommen!« Dann sahen sie Wüllner in die Halle treten. Am liebsten hätten sie sich auf ihn gestürzt, es entging Hansen nicht.
»Ich habe ihn hereingebeten!« sagte er schnell. »Man löst keine Probleme, indem man dem anderen das Haus verbietet oder ihn zusammenschlägt.«
»Er hat sich benommen wie ein … ein …« Dr. Summring suchte nach einer massiven Beleidigung.
Hansen unterbrach ihn. »Er hat gehandelt wie ein kopfloser Verliebter. Haben Sie noch nie die Nerven verloren, meine Herren?«
»Er hat unseren Gegnern Material in die Hand gegeben!«
»Welches Material denn? In allen großen Kliniken liegen solche Fälle wie Doktor Pechl. Das ist doch nichts Neues! Und haben wir etwas
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