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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Internisten-Tagung in Versailles hatten es sich schmecken lassen. Nur Dr. Hansen hatte erst bei Käse und Obst zugelangt. Er war es seinen Patienten schuldig, daß er auch auf das verzichtete, was er ihnen vorenthielt. Die etwas mitleidigen Blicke seiner Kollegen hatte er übersehen.
    Niemand hatte bemerkt oder darauf geachtet, daß kurz vor Beginn der Festtafel der Ehrengast Professor Dr. Bongratzius zum Telefon gerufen wurde. Als er zurückkam, lag der Salm auf den Tellern, der dritte Toast war gerade ausgebracht worden.
    Professor Bongratzius marschierte wie ein junger Student durch den Festsaal. Er begab sich sofort zu Professor Lücknath und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann sahen sie zu Dr. Hansen hinunter und wechselten bedeutungsvolle Blicke.
    Dem Bankett war eine heiße Schlacht vorausgegangen. Dr. Hansen hatte seinen Vortrag gehalten, mit Röntgenbildern, mit Fotos aus seinen Labors, seiner Klinik, von seinen Kranken. Sogar einen Filmstreifen hatte Hansen ablaufen lassen: ›Ein Tag in der See-Klinik‹. Vom Wecken bis zum letzten Abendtrunk, der aus einem Leinsamenaufguß bestand.
    Der Beifall war herzlich, anerkennend. Nur die deutschen Vertreter enthielten sich aller Kundgebungen. Vor allem Bongratzius und Lücknath dachten nicht daran, auch nur einmal die Hand zu rühren. Mochte der Beifall neben ihnen hinauf zum Podium branden … französische Höflichkeit, nicht mehr.
    Auch an der Diskussion beteiligten sie sich nicht. Sie schlugen die Beine übereinander und blätterten in Prospekten. Diskussion, dachten sie. Was bildet sich dieser kleine Dr. Hansen denn ein? Ein Ordinarius diskutiert mit einem solchen Würmchen nicht.
    Als erste standen sie dann auch auf und verließen das Auditorium. Der Abstand war deutlich gemacht.
    Um so gehobener war die Stimmung zwischen Bongratzius und Lücknath nach dem Anruf aus Deutschland …
    Nach dem Mokka, den Hansen ebenfalls überschlug, brachte ihm ein Boy ein Telegramm. Hansen betrachtete es mit Verwunderung. Bongratzius und Lücknath beobachteten ihn gespannt. Jetzt erfährt er es, dachten sie. Und jetzt werden wir den Zusammenbruch eines Schaumschlägers erleben.
    Langsam riß Hansen das Kuvert auf. Dann las er den Text: ›Sofortige Rückkehr erforderlich. Wüllner ließ Fräulein Pechl verlegen. Adenberg.‹
    Hansen faltete das Telegramm zusammen und schob es in die Tasche seines Smokings. Er trank einen Schluck des hervorragenden Champagners und warf dabei einen Blick über den Glasrand auf Bongratzius und Lücknath. Sie wissen es auch schon, dachte er, nun doch etwas erschrocken. So schnell arbeitet ihr Nachrichtendienst …
    Wenn er nur den Sinn des Telegramms begriffe. Wüllner habe Marianne verlegen lassen – was konnte man sich darunter vorstellen? Doch nicht etwa in eine andere Klinik? Eine solch schwerwiegende Anordnung traf Wüllner nicht. Sein Oberarzt! Sein Stellvertreter … Aber irgend etwas Außerordentliches, Bedrohliches, Gefährliches mußte vorgefallen sein, das konnte er an den Mienen der beiden Professoren ablesen … Er trank sein Glas Champagner aus und verließ das Festbankett. Beim Hinausgehen sah er im Wandspiegel noch, wie Bongratzius und Lücknath sich wie zwei alte Freunde zuprosteten.
    Wottke war schon auf, als Dr. Hansen todmüde beim Morgengrauen in der ›See-Klinik‹ ankam.
    »Ihr macht ja Sachen …«, sagte Hansen krampfhaft burschikos und schüttelte den Kopf. »Kaum dreht man euch den Rücken … Wie ein Kindergarten ohne Aufsicht …«
    »Ick kann nich dafür!« Wottke schluckte. »Der Wüllner hat durchjedreht …«
    »Durchgedreht …?«
    »Na, wie soll man sonst dazu sagen, wenn er Fräulein Pechl, bloß weil sie einen neuen Anfall gekriegt hat, Hals über Kopf in einen Krankenwagen packt und mit ihr ab in die Stadt zu dem Professor, Sie wissen schon, Runkel braust.«
    Hansen sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. »Muß tatsächlich durchgedreht haben, der Wüllner«, sagte er zu Wottke. »Dann werde ich also heute vormittag zu Runkel fahren …«
    Er ging an Wottke vorbei auf sein Zimmer und schloß sich ein.
    Erst dort, in der völligen Einsamkeit, zwischen seinen Röntgenplatten und Krankengeschichten, den Büchern und Zeitschriftenstapeln, gestand er sich ein, daß er nicht mehr konnte. Er ließ sich auf seinen Sessel fallen, schlug beide Hände vor die Augen und stöhnte laut:
    »Mein Gott … mein Gott …«
    Er war so müde, daß er in seinem Sessel einschlief, so wie er gerade saß, die Hände vor

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