Die Begnadigung
Plötzlich wußte er nicht mehr weiter.
Einige Ärzte gingen an ihm vorbei, etwas amüsierte sie, sie lachten.
Vorbei.
Zwei junge Ärztinnen. Sie hatten sich wichtige Dinge mitzuteilen, sie flüsterten, die eine konnte gar nicht erwarten, daß die andere das Wort ihr überließ …
Vorbei.
Zwei Ärzte, rauchend. Über die letzte Operation fachsimpelnd. Gallensteine. »Gnädige Frau habe ich gesagt …«
Vorbei.
Langsam verließ Dr. Wüllner das Kasino. Durch den Garten ging er hinüber zur Chirurgischen Klinik.
Mit dem Personenfahrstuhl fuhr Wüllner hinauf zur Privatstation. Professor Runkel war noch im Haus. Er hatte gerade eine Besprechung beendet. Einige Vertreter der pharmazeutischen Industrie verließen das Vorzimmer.
»Ich weiß nicht, ob der Herr Professor jetzt Zeit hat«, sagte die Chefsekretärin nachdenklich. »Um diese Zeit ist er meistens schon zu Hause zum Essen. Um fünfzehn Uhr hat er wieder eine Konferenz mit ausländischen Besuchern. Ich weiß wirklich nicht …«
»Ich bin Dr. Wüllner …«
»Ich weiß.« Es klang so, als sage man: Bist du darauf stolz?
»Fragen Sie doch wenigstens an …«
Fünf Minuten später stand Wüllner vor Professor Runkel. Der Ordinarius rauchte eine seiner blonden Zigarren und trank ein Glas Rotwein.
»Ersatz für das Mittagessen!« sagte Runkel, als Wüllner sich verbeugte. »Wir kommen aus den Sielen nicht heraus. Nehmen Sie Platz, junger Herr Kollege … Hansen hat Sie also hinausgeschmissen?«
»Nein! Ich bin von allein gegangen.«
»Mag sein! Die offizielle Version ist aber: Hansen hat Sie gefeuert, weil Sie zu tief in seinen Sumpf geblickt haben! Wir müssen uns angewöhnen, von jetzt ab immer nur offiziell zu denken! Was wir privat denken, ist unwichtig …«
Wüllner nickte. Seine Kehle war plötzlich zugeschnürt.
»Und nun wollen Sie zu uns?«
»Ja, Herr Professor.« Wüllner steckte die Hände zwischen die Knie. »Herr Färber sagte mir zwar, daß alle Abteilungen besetzt sind …«
»Herr Färber hat recht. Aber es läßt sich etwas machen. Ich wollte schon längst einen der Herren zu mir in die Privatstation nehmen. Dadurch fällt ein Posten an … der Stationsarzt der Unfallstation II. Verstehen Sie was von Unfallchirurgie?«
»Ich habe in Dresden zwei Jahre auf der Unfallstation gearbeitet.«
»Sehr gut! Also halten wir fest: Sie kommen auf Unfall II.« Runkel legte seine Zigarre auf den Rand seines Aschenbechers. »Wie hat Hansen Ihren Husarenritt aufgenommen?«
»Ruhig.«
»Ruhig? Wieso denn? Er hat nicht getobt?«
»Nein. Er hat mir vorgerechnet, wieviel Krebskranke die Schulmedizin jährlich nicht retten kann!«
»Das werden wir ihm abgewöhnen!« Runkel griff wieder zur Zigarre und sog einige Male daran. Er nebelte sich ein. »Ich habe gestern noch mit einigen Herren gesprochen! Wir werden öffentlich nachweisen, daß die Krebsheilungen in höchst erfreulichem Maße ansteigen. Gegenwärtig wird jeder dritte Krebskranke gerettet, während es vor ein paar Jahren noch jeder vierte war …«
Wüllner blickte auf seine zwischen die Knie geklemmten Hände. »Können wir das mit gutem Gewissen behaupten?« fragte er leise. Verwundert sah ihn Runkel durch seinen Zigarrennebel an.
»Professor Bongratzius wird zu Weihnachten ein Interview geben, gewissermaßen eine Weihnachtsbotschaft der Medizin. Er wird darin klipp und klar sagen, daß es heute mehr Krebsheilungen gibt als je zuvor! Wenn ein weltberühmter Pathologe wie Bongratzius das sagt, ist es über jeden Zweifel erhaben!«
»Das stimmt!«
»Sehen Sie, lieber Wüllner, Hansen hat seine Phantastereien zur Hand, wir aber Tabellen und Statistiken! Im übrigen werden wir Sie von der Unfall II für zwei Wochen beurlauben, damit Sie in einem umfassenden Referat die Arbeitsmethoden der ›See-Klinik‹ niederlegen können. Wir werden uns über Einzelheiten noch unterhalten. Sie sind der Kronzeuge für das Versagen der Hansenschen Therapie … wenn man sie überhaupt Therapie nennen soll und nicht besser: Betrug am unheilbaren Kranken!«
»Ich soll …« Wüllner sah in die kleinen, blitzenden Augen Runkels hinter den blanken Brillengläsern.
»Warum sind Sie sonst zu uns gekommen?« Runkel erhob sich. »Wie geht es Ihrer Braut?«
Wüllner schnellte aus seinem Sessel hoch. »Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Professor«, sagte er.
Wenn die Forschung uns nicht neue Kenntnisse vermittelt , so werden von den heute lebenden Amerikanern 17.000.000 an Krebs sterben. Obgleich unser
Weitere Kostenlose Bücher