Die Begnadigung
Röcheln … wieder stieg der Hustenreiz in ihm auf, so mächtig, so schmerzhaft, so unbändig, daß er beide Arme hochwarf und den Mund weit aufriß. Dann hustete er, röchelnd, zuckend, mit brechenden Augen, Blut lief in zwei Fäden aus seinem Mund über Kinn und Hals … langsam sank Paulus zwischen dem Hauptmann-Darsteller und Wottkes Käfig auf die Knie … im Saal war Totenstille, nur Dr. Hansen, drei andere Ärzte und vier Schwestern rannten durch den Gang zur Bühne … Dann endlich, endlich fiel der Vorhang …
Dr. Summring, der sich von Bertrich losgerissen hatte, kniete neben Paulus, als Dr. Hansen auf die Bühne stürzte. Dr. Summring sah zu Hansen auf, und da wußte Hansen alles. Es gab keine Frage mehr. Von hinten umklammerte ihn Karin.
»Wie furchtbar«, stammelte sie. »Mein Gott … und ich habe ihm gesagt, er soll nicht auftreten …«
Hansen fuhr herum. »Du hast es gewußt und mir nichts gesagt?«
»Er wollte es nicht. Ich sah ihn nur husten … O mein Gott!« Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Jacke und weinte wie ein Kind. »Jetzt wird man kommen und dich dafür verantwortlich machen.«
Dr. Hansen brauchte nicht lange zu warten.
Schon vier Tage später fuhr Oberstaatsanwalt Dr. Barthels vor der ›See-Klinik‹ vor. Dieses Mal dienstlich, mit einem zweiten Beamten und einem Stenografen. Er trug einen dunklen Anzug, als käme er zu einem Trauerbesuch. Er gab Wottke, der ganz klein in seiner Pförtnerloge hockte, seine Karte ab und sagte:
»Staatsanwaltschaft. Ich möchte Herrn Doktor Hansen sprechen …«
»Der … der Chef ist bei einer Visite!« stotterte Wottke. Er drehte die Karte in seinen Fingern. »Jetzt ist Vormittagsvisite …«
»Gleichviel!« Oberstaatsanwalt Dr. Barthels straffte sich. »Rufen Sie auf den Stationen an. Herr Hansen soll kommen. Ich warte fünf Minuten … dann suche ich ihn!«
Er wandte sich ab und marschierte den Gang hinunter. Wottke schoß aus seiner Loge hervor. »Wohin?« rief er laut. Dr. Barthels zuckte zusammen, blieb aber nicht stehen.
»Ich warte im Chefzimmer! Danke – ich kenne den Weg! Suchen Sie Herrn Hansen! Aber flott!«
Mit schnellen Schritten ging er zum Chefzimmer, riß die Tür auf und wollte eintreten. Er hatte nicht mit Karin gerechnet. Sie stand an der Schwelle, klein, zierlich, in ihrem weißen Mantel, mit einem mühsamen Lächeln auf den blassen Lippen, und schien nicht gewillt, ihn an sich vorbeizulassen.
»Sie suchen meinen Mann?« fragte sie.
Dr. Barthels nickte grimmig. »Wenn Sie Frau Hansen sind … ja! Suchen, das ist der richtige Ausdruck! Ich darf wohl eintreten …«
Sie sah die beiden Männer, die ihm gefolgt waren und offenbar zu ihm gehörten.
»Ihre Begleitung bitte ich nebenan in das Wartezimmer … Sie dürfen!«
»Zu gütig!« Barthels' Gesicht rötete sich. »Ich bin Oberstaatsanwalt …«
»Ich weiß. Ich kenne Sie … Sie sind der Mann, der als Jurist alles besser weiß als ein Arzt …« Karin brachte es fertig, auch das noch lächelnd zu sagen.
Wortlos ging Dr. Barthels an Karin vorbei in Hansens Zimmer. Der begleitende Beamte und der Stenograf wurden von dem herbeigerannten Wottke barsch ins Wartezimmer gewiesen.
Oberstaatsanwalt Dr. Barthels blieb mitten im Zimmer stehen, bis Karin die Tür geschlossen hatte.
»Sie warfen mir da eben etwas vor, Frau Hansen«, sagte Dr. Barthels. »Zugegeben, ich habe, als ich damals meine Schwägerin hier besuchte, nur nach dem gesunden Verstand geurteilt. Mittlerweile liegen aber auch so viele Gutachten vor, daß ich meinen ersten Eindruck von Ihrer Klinik voll und ganz bestätigt sehe. Was Ihr Mann hier macht, ist alles andere, nur keine Krebsbekämpfung!«
»Das müssen Sie sagen? Gerade Sie … der Sie am Beispiel Ihrer Schwägerin sehen, wie die Therapie anschlägt …«
»Meine Schwägerin schrieb mir in einem Brief von dem Vorfall bei der Theateraufführung. Sie erwähnte es nur nebenbei … sie ist sich der Tragweite des Geschehens nicht bewußt. Stimmt es, daß ein Todkranker eine schwere Rolle zu spielen hatte?«
»Darüber wird Ihnen mein Mann Auskunft geben.«
»Sie waren doch auch dabei …«
»Ja … aber ich bin die Frau des von Ihnen Verdächtigten.«
Dr. Barthels wandte sich ab. Die Tür knackte. Dr. Hansen kam herein, im weißen OP-Mantel. Er hatte eben eine Sauerstoff-Blutwäsche gemacht. Er sah die weiten Augen Karins und wußte Bescheid.
»Laß uns bitte allein, Liebes …«, sagte er fast zärtlich. Karin hob bittend beide Hände.
»Jens
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