Die Begnadigung
Gutachten wollen nichts besagen … man kann sich irren …«
Der Oberstaatsanwalt legte die Hände auf die Mappe Peter Paulus. Er sah ein Stück des Röntgenbildes … einen Lungenflügel mit kleinen hellen Flecken … Er sah den Tod.
»Warum stellen Sie sich gegen die Schulmedizin, Herr Hansen? Durch nichts können Sie beweisen, daß Ihre biologische Methode, daß Müsli, Rohkost, frische Luft, Bewegung, seelische Betreuung und einige geheimnisvolle Pillen und Tropfen allein genügen, etwas zu heilen, was man seit zweitausend Jahren als unheilbar ansieht! Gut – Blutwäschen, Warmäther-Inhalationen, Frischzellenextrakte, Ihr Novo-Carcin und das Carzodelan … alles hört sich ganz schön an, aber was vermögen Sie denn auszurichten gegen die Erfolgsmethoden der Chirurgie und Strahlenbehandlung?«
Dr. Hansen nickte nachdenklich.
»Ich nehme an, daß Sie nur einseitig informiert sind«, sagte er. Er hielt einige Blätter in der Hand und lehnte sich an die Schreibtischkante. »Natürlich wird man nie sagen: Wir haben versagt! Natürlich wird man mit Statistiken kommen, mit langen Zahlenkolonnen der Erfolge, die beweisen sollen, daß der Krebs gar nicht so schlimm ist …«
»Statistiken lügen nicht!« sagte der Oberstaatsanwalt brüsk.
»Darf ich Ihnen einmal vorlesen, was der bekannte Arzt und Krebsforscher Doktor Lieck schrieb: ›In der Krebsfrage lebten und leben die Ärzte in einer Welt der Illusionen. Lüge ist vielleicht ein zu harter Ausdruck. Man will den zahllosen Krebskranken nicht den Mut, nicht die Hoffnung nehmen. Ernsthafte Forscher lehnen die ganzen Zahlenreihen unserer Kliniken und Krankenhäuser ab …‹«
Hansen reichte Dr. Barthels das Blatt hin. »Das ist nur eines … ich habe zehn Aktendeckel voll davon …«
»Das dürfte bei einem Prozeß gegen Sie ziemlich unerheblich sein.«
»Leider kommen wir nicht darum herum, der Schulmedizin diesen Spiegel vorzuhalten. Auf dem Krebskongreß 1957 in Bad Pyrmont hielten Doktor Jung und der Nobelpreisträger Professor Warburg fundamentale Referate über die Krebsbekämpfung und Krebsvorbeugung. Wissen Sie, was damals in Bad Pyrmont geschah? Vor den Augen der Öffentlichkeit? Die Schulmedizin ignorierte den Nobelpreisträger Warburg! Er sagte zu deutlich die Wahrheit! Er riß die Masken von den stolzen Gesichtern. Doktor Salzer schrieb darüber: ›In einer Zeit, wo das Fiasko von Stahl und Strahl auf der Hand liegt, wo insbesondere die Strahlentherapie von Seiten verantwortungsbewußter Autoren auf immer stärkere Skepsis und Ablehnung stößt … muß man sich über die Dreistigkeit wundern, mit der das Dogma von Stahl und Strahl als den allein verantwortlichen Mitteln beim Krebs weiter aufrechterhalten wird. Der objektive Teilnehmer an der Pyrmonter Tagung mußte immer mehr den Eindruck gewinnen, daß die Krebsforschung von irgendeinem Gremium nach einer bestimmten Richtung gedrängt wird, die sich mit den neuesten Erkenntnissen nicht im allermindesten mehr in Einklang bringen läßt … Ist es nicht beschämend, daß der Nobelpreisträger Warburg den Vertretern der Krebsforschung in Bad Pyrmont öffentlich erklären mußte, man könne heute nicht mehr über Krebsentstehung diskutieren, wenn man diese fundamentalen Erkenntnisse außer acht lasse?! Hier stimmt doch etwas nicht!‹ – Und ich schließe mich dem an, Herr Oberstaatsanwalt: Hier stimmt wirklich etwas nicht! Allein, daß Sie hier sitzen, Vertreter des Staates und orientiert von einer einzigen Seite der Krebsmedizin, und mich anklagen der Scharlatanerie, sollte Beweis genug sein, daß wir durch den Haß und Neid zueinander nie den Krebs besiegen werden!«
Barthels nahm auch dieses Blatt, das Hansen verlesen hatte, entgegen, aber er nahm es, als sei es mit Kot beschmiert. Es ekelte ihn fast; man sah es ihm an. Er war kein Mediziner, aber sein juristischer Verstand sagte ihm, daß er sich hier in einen Streit eingemischt hatte, der weit über einen normalen Betrugs- oder fahrlässigen Tötungs-Prozeß hinausging. Er hatte alle Geister einer Leidenschaft entfesselt, die sich bisher hinter dem Schild der Wissenschaft verborgen gehalten hatten.
»Wer sind denn diese Ärzte, deren Artikel Sie so sorgfältig gesammelt haben?« fragte er.
»Außenseiter.«
»Aha!«
»Herr Oberstaatsanwalt, ich könnte Ihnen Dinge erzählen, die Sie vielleicht anders über die geschmähten Außenseiter und ihre berühmten Gegner denken ließen … Als Doktor Salzborn, dessen Krebsbehandlung so
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