Die Begnadigung
… ich …«
»Bitte …«
Dr. Barthels wartete, bis hinter Karin die Tür zugeschlagen war. Dann stützte er sich auf die Schreibtischkante und sah Dr. Hansen groß an.
»Sie lieben Ihre Frau?«
»Gehört das zum Verhör?« fragte Hansen steif.
»Wenn Sie sie wirklich sehr lieben … ich kann es verstehen –, dann beginnen Sie ein anderes Leben! Lassen Sie das hier alles sein, werden Sie ein vernünftiger Arzt, der Sie schon einmal waren, ersparen Sie sich Ärger und Verfolgung …«
»Bitte, kommen Sie zur Sache, Herr Oberstaatsanwalt.«
»Schade.« Dr. Barthels hob die Schultern. »Das war ein privater Ausflug. Aber Sie wollen nicht, Herr Hansen. Gut also. Darf ich Sie, bevor ich Sie dienstlich frage, bitten, den ärztlichen Kittel auszuziehen …«
»Bitte.« Hansen streifte den OP-Mantel ab. »Früher gab man seinen Degen oder die Pistole ab.« Er legte ihn über die Sessellehne. »Aber ich behalte ihn in greifbarer Nähe. Es ist möglich, daß ich ihn gleich wieder anziehe …«
»Ist das der Optimismus, mit dem Sie auch Ihre Kranken und Sterbenden füttern und damit zig Tausende verdienen?«
»Vielleicht. Es wäre dann der einzige Ort in Deutschland, an dem Optimismus in der Krebsbehandlung herrscht, und müßte eigentlich ein Wallfahrtsort werden!«
»Bitte, werden Sie nicht zynisch.« Dr. Barthels setzte sich. Hansen stand vor ihm, groß, schlank, innerlich ganz Abwehr. Barthels spürte es.
»Mir ist bekannt, daß ein Patient mit einem unheilbaren Bronchialkarzinom trotz seines ernsten Zustandes in einer Theateraufführung …«
»Ich war auf Ihren Besuch vorbereitet.« Dr. Hansen ging zu seinem Schreibtisch und nahm eine Mappe von dem Stapel Krankengeschichten. »Hier haben Sie alle Unterlagen des verstorbenen Herrn Peter Paulus. Die letzten Röntgenplatten, die letzten Untersuchungsbefunde … Sie können sie von Ihren Gutachtern überprüfen lassen. Herr Paulus war so weit gebessert, daß er …«
»Daß er auf der Bühne tot zusammenbrach nach einem Bluthusten!« Die Stimme Dr. Barthels' wurde laut und hart. »Wenn Ihre ärztliche Beurteilungskraft so beschränkt ist, einen Todkranken nicht von einem Gebesserten zu unterscheiden, werde ich nicht umhinkommen, Ihre ganzen Krankenblätter beschlagnahmen und von Experten durchsehen zu lassen!«
»Bitte! Es steht Ihnen alles zur Verfügung.«
Oberstaatsanwalt Dr. Barthels sah auf seine Hände. Er dachte an seine Schwägerin Elfriede, die zwei Stockwerke höher lag und unbedingtes Vertrauen zu diesem Arzt hatte. Er dachte an seinen Bruder, der jeden Monat zweitausend Mark zahlte und der an jedes Wort glaubte, was aus der ›See-Klinik‹ zu ihm drang. Er dachte an den letzten Brief Elfriedes, der auch den Vorfall bei der Theateraufführung enthielt, in dem sie schrieb:
»Seit einer Woche bin ich schmerzfrei und kann mich sogar außerhalb des Bettes bewegen. Gestern bin ich am Arm einer Schwester durch den Park gegangen … Ich hänge wieder am Leben … es ist ja so herrlich … und ich will es nicht hergeben. Jetzt noch nicht! Ich will mit Doktor Hansen um dieses Leben kämpfen. Und ich werde es schaffen …«
»Man sagt, daß Sie Patienten, die mit noch operablen Karzinomen zu Ihnen kommen, von Operationen und Bestrahlung abraten.«
»Wer sagt das?«
»Ich habe zuverlässige Informationen!«
»Bitte, wenn sie so zuverlässig sind …« Hansen steckte sich eine Zigarette an. Nach fast zwei Jahren rauchte er wieder. »Ich kann Ihnen nur versichern, daß ich einen operablen Krebsfall stets an die Chirurgie verwiesen habe. Erst wenn sie hoffnungslos zu mir kamen, wenn sie ihre Atteste brachten, auf denen klipp und klar unheilbar stand, habe ich sie aufgenommen.«
»Und das haben Sie getan, obwohl Sie selbst von der Wirksamkeit Ihrer biologischen Therapie nicht überzeugt sind! Sie haben Riesensummen verlangt von Patienten, denen Sie Hoffnung machten, wo keine Hoffnung mehr ist! Und Sie wußten es! Trotzdem haben Sie …«
»Hatten Sie bei Ihrer Schwägerin Hoffnung? Hatte ein einziger Arzt Hoffnung? Mir liegt ein Gutachten von Professor Berlepsch vor. Er nennt Ihre Schwägerin völlig unheilbar. Sie müßte schon tot sein nach diesem Gutachten! Statt dessen kann sie schon wieder Spaziergänge machen …«
»Ich weiß …« Dr. Barthels begann plötzlich zu schwitzen. Er dachte an die Worte Professor Runkels: »Wenn Hansen Heilungen hat, so waren es keine echten Karzinome, sondern nur entzündliche Tumore. Auch die histologischen
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