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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Eine Stunde später rollte der große, schwarze Wagen von Dr. Barthels im Hof der ›See-Klinik‹ aus. Karin empfing den Oberstaatsanwalt an der Tür. Mühsam lächelnd, in einem neuen weißen Kittel, als handle es sich darum, einen wichtigen Besucher durch die Klinik zu führen. In seiner Loge saß Franz Wottke und kaute an der Unterlippe. Einen Augenblick war er versucht, aufzuspringen und zu rufen: »Grüßen Sie mich gefälligst, Herr Oberstaatsanwalt! Schließlich bin ich mit dreißigtausend Mark Einlage Mitinhaber der Klinik!« Aber er unterließ es. Ärger gab es jetzt genug.
    »Mein Mann erwartet Sie schon«, sagte Karin. »Sie kennen ja den Weg.«
    »Allerdings!« Barthels blieb in der Halle stehen. Im Speisesaal probte wieder das Klinikorchester. »Wie geht es meiner Schwägerin?«
    »Gut, Herr Oberstaatsanwalt.«
    »Gut?« Dr. Barthels spürte ein merkwürdiges Rumoren um das Herz herum. »Was nennen Sie gut?«
    »Sie macht Spaziergänge um den See herum. Warten Sie.« Karin sah auf einen Block, der in Wottkes Loge lag. »Im Augenblick segelt sie …«
    »Was tut sie?« fragte Dr. Barthels.
    »Sie segelt. Wir haben doch eigene Segelboote. Doktor Adenberg führt das Boot. Sie sind draußen auf dem See …«
    »Auf … dem … See …«
    »Stört Sie daran etwas?«
    »Aber … sie lag doch im Sterben …«
    »Tja!« Karin hob die Schultern. Ihr Gesicht war ernst. »Nun segelt sie jedenfalls … Das ist bestimmt ein Erfolg der Schulmedizin …«
    Der Hieb ärgerte den Staatsanwalt so, daß er Karin einfach stehenließ und zum Chefzimmer ging. Er klopfte kurz an, wartete keine Antwort ab und trat ein. Wottke beugte sich zu Karin über den Tisch der Pförtnerloge.
    »Für 'ne Affekttat gibt's doch mildernde Umstände, was?«
    »Aber Wottke!«
    »Mit Rutengängern haben Sie gearbeitet! Mit einem Gesundbeter! Sind wir denn im Mittelalter? Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, Herr Doktor Hansen? Vielleicht erzählen Sie mir auch noch, daß Sie in der Vollmondnacht in den Garten gehen und Kräuter und Wurzeln sammeln, vor denen eine trächtige Eselin stehenbleibt …«
    »Wenn es etwas hilft … warum nicht?«
    »Das ist ja Okkultismus!«
    Dr. Barthels rannte im Zimmer hin und her. Er hatte das Aktenstück in der Hand und las Hansen einzelne Punkte der Ermittlung vor. Ein sehr ungewöhnliches Vorgehen. Die Katze ließ die Anklage erst im Gerichtssaal aus dem Sack. Aber die Nachricht, daß Schwägerin Elfriede auf dem Plöner See herumsegelte, war so ungeheuerlich in ihren Konsequenzen, daß es Dr. Barthels für richtiger hielt, vor Erhebung einer Anklage Dr. Hansen Gelegenheit zu einer klärenden Aussprache zu geben. Vielleicht, Barthels hoffte es plötzlich inbrünstig, zerschlug diese Aussprache alle Anklagepunkte.
    Aber Hansens Antworten waren alles andere als ein Entgegenkommen auf den goldenen Brücken, die Barthels zu bauen bereit war. Daß er nicht leugnete, einen Rutengänger in die Klinik gelassen zu haben, daß er sogar einen Gesundbeter aus der Holsteinischen Heide hatte kommen lassen, übertraf alles, was der Oberstaatsanwalt zu dulden bereit war.
    »Haben Sie keine andere Erklärung?« fragte Barthels heiser. »Jeder vernünftig denkende Mensch wird sagen, daß Sie hier Hokuspokus getrieben haben!«
    »Sie haben das richtige Wort gebraucht, Herr Doktor Barthels: Jeder vernünftig denkende Mensch!« Dr. Hansen zeigte auf die lange Reihe eiserner Karteikästen, die im Hintergrund des großen Zimmers wie Schränke an der Wand standen. Sie waren gefüllt mit Krankengeschichten.
    »Dort liegen die Akten von über tausend Menschen!« sagte Dr. Hansen laut. »Alle hatten sie eins gemeinsam: Sie waren unheilbar. Sie waren von allen Ärzten aufgegeben worden! Viele habe ich aufgenommen, viele sind wieder weggegangen und zu Hause gestorben, viele habe ich heimgeschickt, weil es wirklich sinnlos war, die meisten sind bei mir gestorben … aber dreiundzwanzig habe ich geheilt.«
    »Wissen Sie«, fuhr er fort, »wie es im Herzen und Hirn eines Unheilbaren aussieht? Wie sich solch ein Mensch an alles klammert, was er hört, liest oder sieht? Sie können es nicht wissen, denn keiner kann nachempfinden, was es heißt, zu wissen: Du bist verurteilt zu sterben! Und da kommen diese Unheilbaren zu Ihnen, dem Arzt, der ihnen helfen soll und will. Und sie betteln: Doktor, ich habe gelesen … Erdstrahlen erzeugen Krebs. Haben Sie die Klinik schon nach Erdstrahlen absuchen lassen …? Oder einer liegt im Bett und

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