Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Experimentieren war. Er bot alle Faktoren auf, die einen Körper regenerieren mußten, er ließ nichts aus, um die natürlichen Abwehrkräfte zu mobilisieren, er bekämpfte die Dysbakterie, die Dyskrasie, er gab Vakzine, entwickelte Krebsseren, schaltete Fokalinfekte aus … aber nur zu oft nutzte das alles gar nichts …
    »Willst du Wüllner benachrichtigen?« fragte Karin, als sie Mariannes Fenster zum Balkon öffnete. Die Mailuft wehte über das bleiche Gesicht der Toten. Auf den Zweigen wiegten sich die Vögel und zwitscherten. Irgendwo, auf einer der Liegeterrassen, plärrte ein Radio.
    Dr. Hansen klingelte nach Dr. Summring. Es war ihm unerträglich, jetzt Musik zu hören.
    »Lassen Sie den Kasten abstellen!« rief er, als der Stationsarzt erschien. Dr. Summring sah auf Marianne. Er fragte nicht mehr … leise schloß er hinter sich die Tür und rannte hinaus auf die Terrasse.
    »Wüllner?« Hansen nickte mehrmals. »Ich werde ihn benachrichtigen. Natürlich. Er war der einzige Mensch, den sie noch hatte. Und auch ihn hat sie meinetwegen geopfert.« Er wandte sich ab und sah gegen die weißgetünchte Wand. »Mein Gott … daß man so hilflos ist!«
    Karin verstand ihn. Sie ging hinaus und ließ ihn mit der Toten allein.
    Über das Zimmertelefon ließ sich Hansen mit der Universitätsklinik verbinden. Nach längerem Herumsuchen kam endlich Dr. Färber an den Apparat.
    »Bitte?« sagte Färbers dunkle Stimme. Hansen spürte die Vorsicht, die in ihr lag. Er schüttelte müde den Kopf, als könne es Färber sehen. Nichts, dachte er. Kein Kampf, Färber … heute könnt ihr mir vorwerfen, ich sei ein Gaukler … ich würde es annehmen und glauben.
    »Hier Hansen …«, sagte er leise.
    »Herr Hansen?«
    »Ist Doktor Wüllner noch bei Ihnen?«
    »Ja …« Es kam gedehnt. »Aber er ist nicht im Hause. Außerdem gehört er zur Unfallstation und …«
    »Herr Färber. Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Fräulein Pechl ist eben eingeschlafen. Sagen Sie es dem Kollegen Wüllner?«
    »Wollen Sie nicht selbst …«
    »Wenn Sie mir das abnehmen könnten, Herr Kollege …«
    Dr. Färber schwieg. Die Stimme des Mannes, bei dem seine Frau ein Jahr gelebt hatte, haßte er wie nichts auf der Welt.
    »Ich werde es tun!« sagte er endlich. Dann hängte er auf und lehnte den Kopf gegen die Wand der Stationszelle, über die er das Gespräch geführt hatte.
    An diesem Todesfall wird er zerbrechen, dachte er. Wüllner, der Oberstaatsanwalt, Runkel, Bongratzius, Lücknath … sie alle hatten nur auf diesen Tod gewartet.
    Auch der Dozent Färber.
    Aber plötzlich spürte er gar keine Genugtuung mehr. Eher Angst. Die Angst, mit dem Zusammenbruch Hansens auch Herta zu verlieren. Zum zweitenmal. Und er wußte, daß er es diesmal nicht mehr überleben würde …
    »Herr Oberstaatsanwalt? Hier Wüllner. Ich rufe aus der Klinik an. Ich erfahre soeben von Herrn Färber, daß meine Braut, Fräulein Doktor Pechl, heute bei Doktor Hansen in der ›See-Klinik‹ verstorben ist.«
    »Mein aufrichtiges Beileid, Herr Doktor.«
    »Es ist ein Tod, der nicht nötig war! Hansen hat verhindert, daß sich Marianne operieren ließ! Ich möchte dies hier in aller Form wiederholen!«
    »In Form einer Anzeige?«
    »Wenn es sein muß: Sofort!«
    »Reichen Sie die Anzeige bitte schriftlich ein.«
    »Und dann?«
    »Dann werden wir uns darum kümmern. Was macht das übrige Material, das Sie gesammelt haben?«
    »Ich bringe es mit der Anzeige zu Ihnen, Herr Oberstaatsanwalt.«
    »Neuigkeiten?«
    »Ja. Nach meinem Weggang haben sich merkwürdige Dinge zugetragen. Ein Rutengänger war in der Klinik. Vor zwei Monaten war ein Gesundbeter da …«
    »Ein Gesundbeter! Wirklich?«
    »Ich habe den Namen und die Adresse …«
    »Ist ja toll! Kommen Sie morgen zu mir. Um elf Uhr. Zimmer einhundertvier!«
    »Ich danke Ihnen, Herr Oberstaatsanwalt …«
    Die Leiche Marianne Pechls wurde am nächsten Tag beschlagnahmt. Zwei Beamte der Staatsanwaltschaft brachten die Papiere mit, versiegelten den Sarg und ließen ihn im Kühlkeller stehen.
    »Wird abgeholt!« sagten sie knapp, wie es die Art eines echten deutschen Beamten ist. »Aufbrechen der Versiegelung zieht Strafe nach sich.«
    »Ich brauche für den Totenschein einen genauen Obduktionsbefund!« sagte Dr. Hansen. Die Beamten sahen an ihm vorbei.
    »Den bekommen Sie vom gerichtsmedizinischen Institut. Wenn Sie den Sarg aufmachen …«
    »Ich weiß.« Hansen ließ die beiden Beamten stehen und ging auf sein Zimmer.

Weitere Kostenlose Bücher