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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Färber setzte sich auf. Sie nahm die Sonnenbrille von den Augen und polierte sie am Jackenzipfel ihres Mannes. »Bekommst du deswegen vielleicht weniger Gehalt? Müßt ihr die Klinik schließen?«
    »Gott bewahre, nein!«
    »Warum sich also aufregen, Liebling! Beachtest ihn einfach nicht. Schweigen ist tödlich. Was kann er schon gegen euch machen! So ein kleiner Arzt …«

Leider ist der überwiegende Teil der Ärzteschaft noch immer der Meinung, daß bei einem Krebs außer Operation und Bestrahlung kaum etwas und bei Inkurablen außer Schmerzbe kämpfung mit Opiaten überhaupt nichts mehr zu machen sei … Trotz unserer Volkspropaganda ›Krebs ist heilbar‹ ist in Medizinerkreisen die gegenteilige Meinung fest eingewurzelt.
    (Prof. W. Herberger)
    Der Zustand Erna Wottkes war hoffnungslos.
    Sehr zur Verwunderung Franz Wottkes und sogar der hinzugezogenen Fachärzte ließ Hansen zunächst alle toten oder kariesbefallenen Zähne Ernas ziehen.
    Die Mandeln boten sich als zerklüftetes Gebirge dar. Nach einigen Tagen der Kräftigung wurde Erna Wottke in den neuen kleinen Operationssaal Dr. Hansens gebracht. Ein Facharzt für Hals, Nase und Ohren aus der Stadt nahm eine Mandelausschälung vor.
    Damit waren die gefährlichen Eiterherde ausgeschaltet. Fast alle Krebskranken zeigten nämlich einen ungewöhnlich schlechten Zustand der Zähne und Mandeln.
    Erst nach diesen Vorbehandlungen begann Dr. Hansen mit seiner Kombinationstherapie. Eine strenge Diät mit fremdstoffreien Lebensmitteln von zweitausend Kalorien. Milch, Quark, Käse, kaltgepreßte Öle, Gemüse, Vollkornbrot, Honig. Es gab Fermentpräparate. Bluttransfusionen und Blutwäschen des Eigenblutes wurden vorgenommen. Durch Gaben von Koliakzinen versuchte er die bei vielen Krebskranken zu beobachtende abnorme Vermehrung der Darmbakterienflora zu stoppen.
    Der Kampf Dr. Hansens um das Leben Erna Wottkes war verzweifelt. Daß er allein stand, völlig allein, von allen Kollegen belächelt, von der Schulmedizin zum Außenseiter abgestempelt, gab ihm die Stärke, selbst das in ihm aufkommende Gefühl zu überwinden, es sei doch alles sinnlos, was er tat.
    Franz Wottke saß jeden Tag an Ernas Bett. Auch er sah den täglichen Verfall. Es war schrecklich, lächelnd am Bett zu sitzen und von den Plänen zu erzählen, in denen die Zukunft rosig und sonnig war. Oft wurde Franz Wottke heiser, wenn während seiner Worte die Aufmerksamkeit Ernas wegdämmerte, wenn ein Schleier über ihre Augen zog und ihr Mund unverständliche Worte, oft nur Töne sprach, sinnlos, unartikuliert. Manchmal lachte sie darüber, mit einer Grimasse, daß Wottke das Blut in den Adern stockte und er mit harten Fingern die Bettkante umklammerte. Plötzlich war Erna dann wieder da und sagte ganz klar: »Wenn es kälter wird, mußt du den Kindern die Wollstrümpfe anziehen …«
    Nach zwei Monaten Behandlung lebte Erna Wottke immer noch. Das Wachstum der Rezidive an den Schnitträndern war zum Stillstand gekommen. Die Metastasen schienen nicht gewachsen zu sein. Es war, als wundere sich der Krebs, als begriffe er nicht, daß hier ein Körper war, der nicht einfach im Bett lag und auf den Tod wartete, sondern der sich verzweifelt wehrte und der sich völlig umstellte.
    Daß es nur ein Warten war, wußte Dr. Hansen. Die Hirnmetastasen waren unangreifbar, die Rückenmarkmetastasen hatten schon zuviel zerstört. Ein halbes Jahr fehlte … am allerwenigsten beim Krebs läßt sich die Zeit zurückdrehen.
    In diesen Tagen erhielt Dr. Hansen einen Anruf aus der Stadt. Oberarzt Dr. Färber bat ihn, zu ihm zu kommen. Nicht in die Klinik, nein, nach Hause.
    »Ich fahre mit«, sagte Karin Hansen. »Wer weiß, was sie von dir wollen!«
    »Du mußt bei Frau Wottke bleiben.« Dr. Hansen packte die täglichen Untersuchungsergebnisse in seine Aktentasche. Sie waren mager, aber sie waren Zeugnisse eines Kampfwillens gegen einen übermächtig scheinenden Feind, vor dem die bisherige Medizin resignierte.
    »Sie werden mich nicht gleich fressen«, sagte Hansen krampfhaft fröhlich. »Vielleicht ist es auch nur eine private Aussprache.«
    Herta Färber empfing Hansen an der Tür des Hauses, freundlich, hübsch, mit einem tiefen Dekolleté im Sommerkleid, braungebrannt, gesund und kühl. Das Lächeln in den Mundwinkeln war wie erstarrt.
    »Mein Mann erwartet Sie im Wintergarten.« Sie stand hinter ihm, als er den Sommermantel ablegte. Im Garderobenspiegel trafen sich ihre Blicke. In ihren Augen lagen Abschätzung und

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