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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Neugier. »Darf ich Ihnen einen Tee machen?«
    »Bitte keine Mühe meinetwegen, gnädige Frau.«
    »Mein Mann trinkt gern einen Tee.«
    »Dann allerdings.«
    Hubert Färber erhob sich, als Hansen in den Wintergarten trat. Er hatte einige Röntgenplatten vor sich liegen. Hansen stellte es mit Verwunderung fest.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß wir so bald wieder in persönlichen Kontakt kommen«, sagte Färber.
    »Der Anruf kam von Ihnen.« Etwas in der Haltung Färbers ärgerte Hansen. Er meinte, einen Triumph zu spüren, der nur mühsam unter der glatten Decke der Höflichkeit gehalten wurde. Hinter ihm klapperte Herta Färber mit Tassen und Teelöffeln. Fast körperlich spürte er ihren Blick in seinem Nacken.
    Hansen setzte sich. Die Röntgenplatten lagen vor ihm auf dem Rauchtisch. Aufnahmen eines Magens in verschiedenen Ebenen.
    »Ich habe Sie um Ihren Besuch gebeten, um Ihnen etwas zu zeigen.« Hubert Färber wartete, bis Herta die Tassen zwischen Röntgenfilmen und einigen Schriftstücken plaziert hatte. In dieser Pause sah er das Erstaunen in Hansens Gesicht. Er schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich hier ein Colloquium inszenieren möchte. Das wäre unfruchtbar bei unseren konträren Auffassungen. Nein – ich möchte Ihnen nur etwas zeigen. Ohne Diskussion! Bitte –«
    Er hob eine der Röntgenplatten hoch. Ein Magen mit deutlichen Verschattungen und konzentrierten Flecken. Dr. Hansen sah erstaunt an der Platte vorbei.
    »Die Diagnose ist doch wohl klar. Warum zeigen Sie mir ein Magenkarzinom?«
    »Was würden Sie tun?«
    »Für den Chirurgen ist es unheilbar.«
    »Wie vornehm Sie damit sagen wollen: Für mich nicht! Aber lassen wir das.« Färber sah zu, wie Herta den Tee eingoß, nahm zwei Stückchen Kandis und drückte ein paar Tropfen Zitrone in die Tasse. »Die Patientin kam vor drei Tagen zu mir in die Klinik. Darf ich Ihnen die Vorgeschichte vorlesen?«
    »Bitte.«
    »Alter: siebenundsechzig Jahre. Der Mann – verstorben – höherer Beamter. Mehrere Kinder …«
    »Wieso mehrere?«
    »Ich weiß.« Oberarzt Färber lächelte. »Sie wollen eine präzise Zahl. Ich habe sie, aber aus besonderen Gründen möchte ich Ihnen sagen: mehrere. Warum, das werden Sie später verstehen. – Also, weiter: Als Kind und später als Mädchen einige Gastriten ohne Nachwirkungen. Dann immer gesund. Mit sechsundvierzig Jahren Magengeschwür, das man mit einer Rollkur behandelte. Mit siebenundsechzig Jahren plötzlich akute Zeichen: Erbrechen, unklare Verdauungsstörungen, Appetitmangel, Abneigung gegen Fleisch, okkultes Blut im Stuhl, manchmal achtunddreißig Grad Fieber, starke fühlbare Pulsation der Bauchaorta, Bezidinprobe positiv. Die Dame kommt zu uns. Die Röntgenaufnahmen haben Sie vor sich. Es ist einer der sechzig Prozent Magenkrebse, die zu spät kommen.«
    »Und Sie werden operieren?«
    »Ich werde eine Entlastungsoperation machen.«
    »Und dann?«
    »Damit werden wir sechs Monate Leben schaffen.« Färber warf die Röntgenplatten auf den Tisch.
    Dr. Hansen sah zur Seite. Sein Blick begegnete wieder den Augen Herta Färbers, die ihn unverwandt anstarrte.
    »Warum sagen Sie mir das alles?« fragte er. »Solche Fälle sind bei Ihnen doch Routinepatienten …«
    »Natürlich. Ich dachte nur, daß es notwendig sei, Sie in diesem speziellen Fall zu informieren, Herr Kollege.« Färber reichte ihm das Krankenblatt hinüber. »Bitte …«
    Ein Blatt Papier. Links oben Name der Klinik. Darunter vier Rubriken. Einweisender Arzt. Aufnahmedatum. Untersuchender Arzt. Dann der Name des Untersuchten. Alter. Anschrift.
    ›Berta Hansen. 67 Jahre … Wohnhaft in Kiel …‹
    Die Buchstaben verschwammen einen Augenblick, wurden breiter, flossen auseinander, formten sich wieder.
    Oberarzt Färber ließ Hansen Zeit, sich zu fassen. Er trank seinen Tee, goß sich nach, nahm wieder zwei Stückchen Kandis und einige Tropfen Zitronensaft.
    »Meine Mutter«, sagte Hansen leise.
    »Es war meine Pflicht, Ihnen …«
    »Wieso um Himmels willen weiß ich davon nichts … Wieso ist sie heimlich zu Ihnen gegangen?«
    Färber zuckte die Achseln. »Vielleicht wollte sie, daß nicht Sie ihr die grausame Wahrheit ins Gesicht zu sagen brauchten. Oder – sie vertraut dem Chirurgen mehr …«
    »Gewiß …« Hansen legte das Krankenblatt langsam zu den Röntgenplatten.
    Färber zündete sich eine Zigarre an. Hansen lehnte ab. Färber beleckte die abgeschnittene Spitze, damit das Deckblatt nicht abblätterte. »Es geht hier um

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