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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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geraucht, während der hünenhafte Pole sich an dem Jungen vergangen hatte. Danach wollte er selbst das Kind missbrauchen. Plötzlich kam es zwischen dem Mann und dem Jungen zu einem Kampf, und als der Junge mit dem Kopf voraus zu Boden stürzte, wusste Lamb sofort, dass etwas Schlimmes passiert war. Obwohl der Junge keine sichtbare Verletzung davongetragen hatte, starrten seine Augen plötzlich ins Leere, und er hatte jegliche Beherrschung über seinen Körper verloren.
    »Oh, Scheiße«, sagte Carl, schnipste die Zigarette aus dem Fenster und geriet in Panik. »Verdammte Scheiße – was sollen wir jetzt nur machen?«
    Für Penderecki stellte sich die Frage allerdings völlig anders. Ihn interessierte nicht, was sie jetzt zu tun hatten, sondern was Carl zu tun hatte. Denn Carl musste sich der Sache annehmen und das Kind irgendwie aus dem Weg räumen. Carl war gerade Anfang zwanzig und hatte einen Mordsrespekt vor Penderecki, der damals der unbestrittene Chef des Rings gewesen war. Also gehorchte er ohne Widerworte, hob den schlaffen kleinen Körper vom Boden auf und war davon überzeugt, dass das Kind bereits wenige Minuten später nicht mehr leben würde, und dann müsste er die Leiche des Jungen irgendwo entsorgen. Und so hatte er sich mit dem Wagen auf den langen Heimweg gemacht. Auf dem Rücksitz lag unter einer Decke das zuckende Kind. Er war an Speicherseen und Weihern vorbeigekommen und hatte sogar die Themse unterquert, die im silbernen Mondlicht der Mündung entgegenfloss. Natürlich hätte er auch anhalten und das Kind einfach in den Fluss werfen können. Doch dazu fehlte ihm einfach der Mut. Auch wenn er in seinem kurzen Leben schon eine Menge angestellt hatte – eine Leiche entsorgt hatte er noch nie. Und so fuhr er einfach immer weiter – ob nun aus Feigheit oder weil er sich der Ungeheuerlichkeit eines solchen Verbrechens nicht gewachsen fühlte.
    Zu Hause in Norfolk deponierte er den Jungen auf dem Sofa, besorgte sich ein Bier, legte eine Platte auf und setzte sich dann in einen Sessel und wartete darauf, dass der Junge endlich sterben würde. Er überlegte, wie er die Leiche am besten verschwinden lassen konnte, grübelte darüber nach, ob er es über sich bringen würde, das Kind zu zerlegen, ohne zu kotzen. So wurden aus Minuten Stunden, und das Gesicht des Jungen schwoll immer mehr an. Aus Stunden wurden Tage, und das Kind atmete immer noch, während sich aus seinem Mund ein dünner Speichelfaden in das Kissen ergoss. Manchmal fing sein rechter Arm oder sein rechtes Bein plötzlich an zu zucken. Als Carl dem Jungen dann am dritten Tag die Hand auf die Schulter legte und ihn kräftig schüttelte, richtete sich das Kind plötzlich auf und erbrach sich, bis sein senfgelbes T-Shirt völlig besudelt war.
    »Verdammte Scheiße.« Tracey, damals noch ein Teenager, war stinksauer über den Eindringling gewesen. Sie rannte ins Freie, steckte sich neben dem Schuppen erst mal eine Malboro an und kehrte dem Haus demonstrativ den Rücken. Doch Carl ignorierte sie einfach. Er ging in dem Zimmer auf und ab und dachte darüber nach, ob er das Kind nicht am besten an Ort und Stelle umbringen sollte. Natürlich konnte er mit dem Kleinen auch zur Autobahn fahren und ihn dort einfach aus dem Wagen werfen. Allerdings wusste er nicht, ob der Junge sich noch an die Nacht in der Wellblechhütte erinnerte. Er konnte ihn aber natürlich genauso gut nach London bringen. Sollte Penderecki doch sehen, wie er den Burschen los wurde. Allerdings hatte er Angst vor Penderecki. Tja, genau genommen saß er ganz schön in der Klemme. Er betrachtete das Kind, versuchte, sich darüber klar zu werden, ob es für den Jungen noch einen Verwendungszweck gab. Das Gesicht des Kindes war auf der rechten Seite völlig entstellt. Die Wange war dick angeschwollen und hing schlaff nach unten. Ständig lief Speichel aus seinem Mund. Nein, der kleine Kerl war zu nichts mehr nütze. Während der folgenden Tage nahm Carl sich immer wieder vor, es endlich hinter sich zu bringen. Ihm blieb keine Wahl: Er musste den Jungen umbringen. Doch genau dazu fehlte ihm der Mut. Und dann wurde er ohne eigenes Zutun unversehens von seiner Unschlüssigkeit befreit. Denn der Junge fing plötzlich an, sich zu verändern.
    Alles ging ganz langsam. Doch allmählich ließ die Gesichtslähmung nach, und auch der Speichelfluss hörte auf. Noch immer zog der Junge die furchtbarsten Grimassen, litt unter unkontrollierbaren Zuckungen und warf den Kopf ungestüm vor und

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