Die Behandlung: Roman (German Edition)
stolz verkündete, was er gerade tat. »Taub wisssen«, sagte er, wenn er die Möbel und Flächen abstaubte. »Taub sssauen« bedeutete Staubsaugen. Und »uttzzen« hieß schlicht putzen.
»Wieso schaffst du ihn nicht einfach auf die Seite? Ist doch bloß ein Idiot. Wieso hängst du eigentlich so an ihm?«
»Geht dich einen Scheißdreck an, Tracey.«
Doch da war sie anderer Meinung. Schließlich war sie ja nicht blöde und hatte schon lange kapiert, dass Carl ihr nicht alles über den Jungen erzählt hatte. Sie spürte, dass es da noch ein Geheimnis gab – und falls sie ihren Bruder Carl nicht völlig falsch einschätzte, hatte die Sache irgendwas mit Geld zu tun.
Und so ging es immer weiter. Als Carl dann starb, blieb Steven in Traceys Obhut zurück. Immer wieder dachte sie daran, sich an Penderecki heranzumachen, grübelte stundenlang darüber nach, während sie sich in der Glotze Ricki Lake reinzog und eine Zigarette nach der anderen qualmte. Und dann hatte vor ein paar Tagen dieser Inspector Caffery vor der Tür gestanden, und alles hatte plötzlich einen Sinn ergeben. Jetzt begriff sie endlich, warum Carl so an dem Jungen gehangen hatte – ja, es ging tatsächlich um Kohle. Hatte sie ja schon immer gesagt. »Siehst du, Carl, ich bin nicht annähernd so blöde, wie du immer gesagt hast.«
Nachdem dieser Caffery da gewesen war, hatte sie sich als Erstes überlegt, wo sie Steven unterbringen konnte. Der verdammte Bulle durfte den Idioten unter gar keinen Umständen bei seinem nächsten Besuch mit einem Staubwedel in der Hand und einem blöden Lächeln im Gesicht im Haus herumtapsen sehen. Also hatte sie Steven am Vortag in den Datsun verfrachtet – »Und Bobah kannst du auch mitnehmen« – und war mit ihm zu dem Wohnwagen oben am Steinbruch hinaufgefahren. »Und Britney bring ich dir später vorbei.«
»Bwidney …«
»Ja, bring ich dir später vorbei – versprochen.«
Und das tat sie sogar. Sie brachte ihm seine sämtlichen Britney-Poster und die einzige Britney-Kassette, die er besaß, und den Walkman, den Carl ihm vor vier Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, und bugsierte den Jungen dann mitsamt einigen Karamellriegeln und ein paar Dosen Cola in den Wohnwagen, legte von außen ein Schloss vor, stand rauchend im Regen und beobachtete die Autos, die drüben auf der Straße mit eingeschalteten Scheinwerfern vorbeifuhren, und fand sich sehr mutig und irrsinnig clever. Und jetzt, da Caffery jeden Augenblick mit dem Geld aufkreuzen musste, kam sie sich sogar noch mutiger vor. Das Wetter war sonnig und klar. Sie blieb kurz vor dem Wohnwagen stehen, um auszuspucken. Wie konnte sie nur beweisen, dass »Steven« tatsächlich Pendereckis Junge war? Der Junge hockte in dem Wagen und versuchte lallend einen Song mitzusingen: »Ooopsh, ah did id ug-ed«. Scheiß Britney Spears . Er hatte nur diese eine verdammte Kassette und konnte trotzdem nicht genug davon bekommen. Tausendmal hatte er die Kassette schon gehört und konnte den Text trotzdem noch immer nicht richtig mitsingen. Sie öffnete das Vorhängeschloss und betrat den Wagen. Die Vorhänge waren ganz klamm, und es stank nach Schimmel.
»Pass mal auf, Steven.« Sie stellte den Eimer auf den Boden, setzte sich neben ihn auf die Liege und zog ihm den Kopfhörer von den Ohren. »Steven …«
Er grinste sie begeistert an und warf den Kopf vor und zurück. »Ssssöööön …«
Sie lächelte und gab sich Mühe, geduldig zu erscheinen. »Hör mal zu.« Sie schaltete den Walkman aus und legte das Gerät beiseite. »Ich möchte dich was fragen, okay?«
Er saß einen Augenblick nachdenklich da, seine Augen irrlichterten umher, und er rieb sich heftig die Hände.
»Okay?«
Offenbar versuchte er, sich zu konzentrieren. Dann nickte er ungestüm mit dem Kopf. »’kay.«
»Gut. Jetzt hör mal zu. Weißt du noch den Namen von dem Kerl damals in London?«
Steven hörte auf zu nicken. Er atmete gurgelnd ein und aus und verdrehte die Augen, bis sie an Britney Spears hängen blieben, die an der Tür klebte: Britney lag auf dem Bild in einem rotblauen Cheerleader-Kostüm rücklings auf der Ladefläche eines Pick-up.
»Steven?«
Wieder wackelte er aufgeregt mit dem Kopf, und Tracey sah, dass er etwas zu sagen versuchte. Sie beugte sich näher zu ihm hinüber.
»Was? Was sagst du da?« Er steckte sich den Finger in die Nase. »Nein, hör auf mit dem Blödsinn.« Sie zog seine Hand zur Seite. »Los, sag schon. Früher hast du es doch auch gewusst – du Scheißer.
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