Die Behandlung: Roman (German Edition)
vergewaltigt.«
»Ich bin kein Päderast«, sagte Gummer plötzlich und öffnete die Augen. »Ich habe meinen Sohn über alles geliebt.«
»Und warum sind Sie dann nicht zur Polizei gegangen?« »Wollte ich ja – ich hab doch versucht, mit Ihnen zu sprechen. Aber Sie wollten mir ja nicht zuhören.«
»Ich meine früher. Damals, als es passiert ist.«
Gummer holte tief Luft und schüttelte vehement den Kopf. »O nein, nein, nein, nein.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Nein, meine Frau wollte nichts davon wissen. Sie hat gesagt, dass es besser ist, die Polizei aus der Sache rauszuhalten.«
»Sie wollte also nicht, dass die Wahrheit herauskommt?«
»Überrascht Sie das vielleicht?«
»Na ja – immerhin hätte man den Täter suchen können.«
»Ach, tatsächlich?« Gummer machte sich an der ausgefransten Manschette seines Hemdes zu schaffen und starrte erneut auf die Schokoladenriegel. »Meinen Sie etwa, dass Ihre Kollegen meine Frau davon abgehalten hätten, mich zu verlassen – und unseren kleinen Sohn mitzunehmen?«
»Kann ich nicht sagen«, erwiderte Caffery. »Kann ich wirklich nicht sagen.«
»Sie hat ihn mir einfach weggenommen. Nachdem diese Sache damals passiert ist, wollte sie mich nicht mehr in seine Nähe lassen. Keine Ahnung, wo die beiden jetzt sind.« Er öffnete einen Beutel und kramte ein reichlich zerfleddertes Foto hervor, das mit Tesa geflickt war. Dann zog er sich den Ärmel über die Hand, wischte den Tisch damit ab, legte das Foto vor Caffery auf den Tisch und strich mit liebevoller Sorgfalt die Ränder glatt.
»Ihr Sohn?«
»Ja, mein Sohn. Mit neun Jahren. Ich hab noch mehr Fotos zu Hause, aber das hier ist mein Lieblingsbild. Schauen Sie mal.« Er versuchte, die Ränder mit seinen langen weißen Fingern nach unten zu drücken. »Ist natürlich ziemlich mitgenommen, der Abzug. Ich hab das Bild immer sorgfältig behandelt, aber nach so vielen Jahren … Meine Frau täuscht sich übrigens in mir. Ich bin kein Päderast, wissen Sie, ich bin nicht pädophil. Selbst wenn ein Mensch unter Zwang so etwas tut, heißt das noch lange nicht, dass er es auch gewollt hat – oder gar wiederholen möchte. Ich bin wirklich nicht pädophil.«
»Aber die Kinder da drüben …« Caffery wies mit dem Kopf über die Schulter Richtung Schwimmbecken. »Wieso arbeiten Sie dann hier?«
»Ich rühr sie nicht an. Niemals ! Aber ich liebe sie nun mal, verstehen Sie – wirklich. Ich hab doch sonst überhaupt keinen Kontakt mehr … Und sie hat mir doch meinen …« Er schüttelte den Kopf. »Aber pädophil bin ich ganz sicher nicht.«
»Glaub ich Ihnen ja. Und natürlich hatten Sie damals keine andere Wahl.« Caffery beobachtete Gummers maskenhaft erstarrtes Gesicht. Es war ihm alles andere als angenehm, den armen Mann mit solchen Fragen zu behelligen. »Ich nehme an, der Typ hat gesagt, dass er Ihren Sohn umbringt, falls Sie ihn nicht … hab ich Recht?«
Gummer nickte. Eine Träne tropfte auf die Tischplatte. Caffery rutschte ein wenig näher. »So ist es doch gewesen, Chris, nicht wahr? Er hat gedroht, Ihren Sohn umzubringen?«
»Ja, er wollte ihm den Kopf mit einem Pflasterstein zertrümmern, wenn ich es nicht tue. Mit einem Pflasterstein hinten aus dem Garten. O Gott …« Gummer griff plötzlich in seinen Beutel, zog ein Fläschchen Pillen hervor, schüttelte zwei davon in die hohle Hand und schob sie sich in den Mund.
»Was ist das?«
»Zur Beruhigung.« Gummer verstaute das Fläschchen wieder in dem Beutel, rutschte auf seinem Stuhl nach vorne und drehte die Hände um, sodass Caffery seine Handgelenke sehen konnte. Dann sah er den Polizisten an. Seine geröteten Augen waren mit Tränen gefüllt – fast hätte man meinen können, dass sie bluteten. »Natürlich ist es nicht richtig, alles hinzuschmeißen. Doch in manchen Situationen erscheint einem das Leben unerträglich lang.«
Die Jungen an dem Automaten hatten inzwischen mitbekommen, dass Gummer weinte. Sie drehten sich der Reihe nach um und starrten zu den beiden Männern herüber. Caffery beugte sich etwas vor und senkte die Stimme. »Chris, ich glaube, wir sollten das besser woanders besprechen – finden Sie nicht? Würden Sie mit mir aufs Revier kommen?«
Gummer nickte, starrte durch das Fenster auf die verregnete Straße hinaus und biss sich auf die Unterlippe. »Ist diese Familie genauso misshandelt worden? Ich meine die Peaches.«
Caffery schwieg. Er stand auf, legte die Hände auf den Tisch und sagte dann leise: »Wäre
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