Die Behandlung: Roman (German Edition)
besser gewesen, wenn Sie schon damals mit jemandem gesprochen hätten.«
»Wir haben doch damals noch in einer völlig anderen Welt gelebt.«
Nur ein paar Tage, nachdem Gummers Frau ihren Mann verlassen hatte, war Champaluang vergewaltigt worden. Gummer hatte in der Südlondoner Presse von dem Verbrechen gelesen und sofort vermutet, dass es sich bei dem jungen Mann, den Champ als »Troll« bezeichnet hatte, um denselben Jugendlichen handeln musste, der auch sein Leben zerstört hatte. Seither hatte er in der Presse ständig Ausschau nach ähnlichen Meldungen gehalten, war allerdings bis zu dem Vorfall am Donegal Crescent nur einmal auf ein Verbrechen gestoßen, das die Handschrift des Trolls getragen hatte. Nachdem er mit Caffery aufs Revier gegangen war, fanden die beiden bald heraus, warum.
Klare war nämlich elf Jahre in den Hochsicherheitstrakten diverser psychiatrischer Kliniken untergebracht gewesen. Kryotos hatte die Akte vor sich auf dem Schreibtisch und fotokopierte mehrere der Blätter. 1989 hatte Klare bei dem Versuch, vor einem Supermarkt in Balham einen kleinen Jungen zu entführen, eine Polizistin mit einem Messer verletzt. Auf diese Weise war er in die Mühle der Psychiatrie geraten. Er war zu dem Zeitpunkt gerade erst achtzehn Jahre alt gewesen. Die Polizistin hatte ihn im Treppenhaus eines städtischen Mietshauses gestellt, und er war mit einem Springmesser auf sie losgegangen. Das Kind war zwar unverletzt davongekommen, doch die Polizistin hatte an den Händen mehrere Schnittwunden davongetragen.
»Allerdings hat man Klare damals wegen der versuchten Kindesentführung nicht belangt«, sagte Kryotos leise. Gummer hockte – außer Hörweite – neben der Tür zu Cafferys und Souness’ Büro auf einem Stuhl. Er saß da, als ob er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen wollte. »Die Eltern des Jungen haben nämlich auf eine Klage verzichtet, weil sie dem Kind die seelischen Strapazen eines Verfahrens ersparen wollten. Deshalb ist Klare nur wegen Körperverletzung angeklagt worden.« Das Gericht hatte ihn für schuldig befunden und wegen verminderter Schuldfähigkeit seine Unterbringung in einer psychiatrischen Abteilung angeordnet. Vor fünfzehn Monaten hatten die psychiatrischen Gutachter dann geglaubt, ihn medikamentös so gut eingestellt zu haben, dass es vertretbar sei, ihm den Status eines Freigängers einzuräumen, und im vergangenen April war er schließlich wieder entlassen worden. »Was hätten wir unter solchen Umständen im Zentralcomputer denn finden sollen? Selbst sein Vorstrafenregister hätte uns nichts genützt …« Sie schüttelte den Kopf. »Schließlich ist er damals ja bloß wegen Körperverletzung verurteilt worden. Also wäre er ohnehin durch den Raster gefallen.« Sie hielt inne und sah Caffery an, der reichlich mitgenommen vor ihr stand. »Sie stinken, Jack. Sie stinken wie ein ganzes Schwimmbad.«
»Danke, Marilyn.«
»Keine Ursache. Wie wär’s mit etwas Gebäck?«
»Nein, danke, Marilyn.«
»Demnächst werd ich Sie gar nicht mehr fragen.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
Da Souness mit den übrigen Ermittlern in Brixton unterwegs war, führte Caffery Gummer in sein Büro, bat ihn, Platz zu nehmen, und ließ sich dann die ganze Geschichte noch mal von Anfang an erzählen.
Angefangen hatte alles 1989. Die Familie Gummer hatte damals einen Urlaub in Blackpool geplant, sodass in ihrem Bekanntenkreis niemand merkte, dass die Leute aus Brixton überhaupt nicht herausgekommen waren. Trotzdem hatten die Freunde und Bekannten der Familie später den Eindruck gewonnen, dass sich während jener Urlaubstage etwas Schlimmes zugetragen haben musste. Denn die Familie war plötzlich wie verwandelt. Doch wusste natürlich niemand etwas von dem hoch aufgeschossenen Jugendlichen, der wie aus dem Nichts plötzlich in der Diele des kleinen Reihenhauses erschienen war. Auch wusste niemand, dass dieser Jugendliche Gummers Ehefrau im Obergeschoss in einem der Schlafzimmer angekettet und dann von außen ein »X« an die Tür gesprayt hatte. Niemand wusste, was Gummer unter Zwang mit seinem Sohn gemacht hatte. Auch erfuhr niemand etwas davon, dass er hinterher – in einer Ecke zusammengekauert – unter Tränen hatte mit ansehen müssen, wie Klare selbst versucht hatte, sich an dem Neunjährigen zu vergehen. Als sich jedoch gezeigt hatte, dass Klare keine Erektion zu Stande brachte, hatte er dem Jungen aus Wut wie ein Tier mit den Zähnen die Schulter zerfleischt.
»Hat er
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