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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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ließ die Tür ins Schloss fallen. Von Rebecca hatte er sich nicht verabschiedet.
     
    Sobald sie die Eingangstür zufallen hörte, legte Rebecca das Buch auf den Boden, ließ sich im Bett zurücksinken und starrte an die Decke. Als dann auch noch das Gartentor geschlossen wurde und draußen auf der Straße Stille einkehrte – nur ab und zu fuhr ein Auto vorbei, dessen Scheinwerfer kurz die Zimmerdecke streiften -, richtete sie sich auf, zog das Kissen hinter ihrem Kopf hervor, lehnte sich dann wieder zurück und presste sich das Kissen aufs Gesicht. O Gott, Jack, das ist doch alles Wahnsinn. Mit dem Gewicht ihrer Unterarme drückte sie das Kissen auf ihre Nase und ihren Mund und fing an zu schreien.
    Sie schrie, bis sie völlig heiser war und ihr der Kopf wehtat. Dann lag sie – noch immer mit dem Kissen auf dem Gesicht – reglos da. Mochte auch ihr Atem den Baumwollbezug befeuchten, ihr Gesicht war völlig trocken – nein, sie hatte nicht geweint.
     
    Im Alter von zwanzig bis dreißig war er gejoggt, um seine überschüssigen Energien loszuwerden, doch inzwischen verschaffte ihm das Laufen hauptsächlich eine Gelegenheit, unbehelligt seinen Gedanken nachzuhängen. Es half ihm dabei, im Kopf nicht ständig gegen Wände anzurennen, und an diesem Abend setzte die gewünschte Wirkung fast augenblicklich ein. Er wusste genau, was Sache war: Er wollte unbedingt, dass Rebecca mit ihm über ihr damaliges Erlebnis sprach, und im Gegenzug verlangte sie von ihm, dass er sich endlich innerlich von Ewan löste – ja, dass er aus dem Haus auszog. In dieser Hisicht war sie genau wie alle anderen, allerdings nur in diesem einen Punkt. Ansonsten war Rebecca völlig anders – deshalb hatte für ihn auch keine andere Frau eine solche Bedeutung. Er liebte und begehrte sie mehr als jede andere. Trotzdem wollte er nicht vor die Wahl gestellt werden. Er trabte dahin und versuchte, nicht daran zu denken, während der Hausschlüssel auf seiner Brust hin und her baumelte und sich mit dem Christophorus-Medaillon seiner Mutter verhedderte. Er rannte durch die ärmlicheren Viertel von Brockley – tapferes kleines Brockley -, an langen Reihen bescheidener Häuser vorbei, zwischen denen im Zweiten Weltkrieg Wernher von Brauns V1 niedergegangen waren. Das Erscheinungsbild der Gegend hatte sich verändert, seit er früher mit Ewan hier gewesen war. Jetzt wurde die Silhouette von der Citibank dominiert, deren teilbeleuchtetes C aufdringlich flackerte und glimmerte. Doch im Umkreis des Gebäudes waren nicht etwa wohl situierte Bankmenschen heimisch, sondern Drogenhändler, die die geräumigen Sechs-Zimmer-Häuser in den Straßen von Hillyfields gekauft hatten und sich mitunter mitten in der Nacht Schießereien lieferten.
    Caffery hatte das Haus, in dem er wohnte, bereits mit Anfang zwanzig von seinen Eltern gekauft. Früher einmal hatte es Seelenfriede geheißen, doch dann war in den Sechzigern irgendein Idiot mit einer Hand voll Mörtel vorne am Giebel eine Leiter hochgestiegen und hatte den Namen in Gethsemane umgeändert. Nach dem Kauf des Hauses hatte die Familie Caffery als Erstes die Steinplatte mit dem merkwürdigen Namen entfernen lassen. »Wir wollen doch nicht das Unglück beschwören«, hatte seine Mutter gesagt. »Wer in einem Haus mit einem solchen Namen wohnt, der fordert das Schicksal ja mutwillig heraus.« Doch auch diese Vorkehrung hatte ihr nichts genützt. Vielleicht wären sie damals wirklich am besten gleich wieder ausgezogen.
    Er lief in seinem schweißgetränkten T-Shirt die Straße entlang und bog am Ende links ab, trabte dann am Friedhof von Nunhead vorbei und weiter unter dem sternklaren Himmel nach Peckham Rye mit seinen dunklen Seen und Grünflächen. Plötzlich musste er an den Brockwell Park und an Rorys Mörder und das Netzwerk denken, das die Pädophilen bildeten. Schon vor Jahren hatte er mal etwas über den größten Organismus der Welt gelesen: einen unterirdischen Pilz, der in Michigan eine rund zehn Hektar große Fläche einnahm. Manchmal fühlte er sich durch das Netzwerk der Pädophilen an jenen Pilz erinnert: Diese Leute lebten völlig unauffällig mitten in der Gesellschaft – direkt unter unserer Nase -, und sie alle waren durch ein nicht sichtbares Geflecht miteinander verbunden. Auch wenn dieser Penderecki mittlerweile ein verbrauchter alter Mann war, der keinem Jungen mehr was zuleide tat und seine Gefängnisstrafen abgesessen hatte, gehörte er noch immer zu diesem Netzwerk. Caffery war sich

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