Die Behandlung: Roman (German Edition)
absolut sicher, dass der alte Perverse jemanden kannte, der jemanden kannte, der wiederum jemanden kannte, der wusste, wer Rory Peach ermordet hatte. Über wie viele Zwischenglieder Penderecki mit dem Mörder verbandelt war, darüber konnte er – Caffery – natürlich nur Mutmaßungen anstellen, doch nach seinem Empfinden konnte es sich dabei nur um wenige Stationen handeln.
Er lief zurück nach Brockley, bog an der Eisenbahnbrücke nach links ab und ließ den Blick über die Gleise schweifen. Als Ewan damals verschwunden war, waren die Bäume noch belaubt gewesen – kein Problem, mitten in der Nacht eine Leiche irgendwo im Geäst zu deponieren und rechtzeitig vor Anbruch des Herbstes wieder herunterzuholen. Kein sehr angenehmer Gedanke. Dann gelangte er in die Straße, in der Penderecki wohnte, und lief an diversen Gartentoren vorbei, an bleiverglasten Fenstern, kleinen überdachten Veranden mit Körben an den Wänden und säuberlich aufgereihten Schuhpaaren. In Pendereckis Bad brannte Licht, und Caffery blieb – nur einen kurzen Augenblick – vor dem Haus stehen und starrte wie eine hypnotisierte Motte zu dem Fenster hinauf. Das kristallisierte Glas zerlegte das Licht in farbige Diamanten, und erst nach einigen Sekunden begriff er, dass direkt hinter dem Glas etwas hing – ein längliches buntes Gebilde, vielleicht eine Papierlaterne, wie man sie bisweilen in Studentenbuden zu sehen bekommt. Gar nicht typisch für Penderecki, so ein schrilles Ding aufzuhängen. Es sei denn, er hatte dafür einen Grund. Vielleicht hat er das Ding ja sogar absichtlich dort installiert, damit du es siehst – wieder eines dieser Spielchen. Wieder eine dieser Quälereien.
Caffery drehte sich um und lief langsam nach Hause – nach Gethsemane. Dort zog er schweißgebadet die Schuhe und das T-Shirt aus, stellte sich unter die Dusche und dachte daran, wie beengt ein solches Reihenhaus bisweilen erscheinen kann. Dann legte er sich in der Dunkelheit neben Rebecca und lauschte ihrem Atem.
10. KAPITEL
(21. Juli)
Am nächsten Morgen auf dem Revier traf Caffery Marilyn Kryotos in Tränen aufgelöst in der Kaffeeküche an. Er zog ihren Kopf an seine Brust und nahm sie in die Arme. Doch ihr Weinen wurde nur noch schlimmer, und sie zitterte am ganzen Körper. Bisher hatte er Kryotos nur einmal so weinen sehen, und zwar bei Paul Essex’ Begräbnis. Plötzlich fühlte er sich ihr zutiefst verbunden.
»Bitte sorgen Sie dafür, dass Danni mich nicht in diesem Zustand sieht – bitte.«
»Ist ja schon gut.« Er stieß die Tür mit dem Fuß zu und hielt sie weiter umschlungen. »Was ist denn los, Marilyn? Sind es die Kinder?«
Sie schüttelte den Kopf und putzte sich die Nase. »Danni hat Quinn gerade erzählt …«
»Was erzählt?« Er strich ihr über das Haar. »Was hat sie Quinn erzählt.«
»Von der Obduktion gestern.« Sie presste sich die Handrücken gegen das Gesicht. »Die Fotos liegen auf Ihrem Schreibtisch. Quinn möchte all diese Tests durchführen lassen – Sie hat gesagt, Sie sollen sich bitte bei ihr melden.«
»Und was hat Sie so tief getroffen?«
»Der Pathologe meint, dass der Junge noch gelebt hat – oben in dem Baum. Er glaubt sogar, dass der Kleine dort oben noch zwei Tage gelebt hat. Der Junge hat noch versucht, sich von den Fesseln zu befreien …« Sie riss ein Stück Küchenkrepp ab, knüllte es zusammen und presste es sich gegen die Augen. »Ich weiß ja, dass es dumm von mir ist … Aber ich muss ständig daran denken, wie der arme Junge dort oben in dem Baum um sein Leben gekämpft hat – mit seinen dünnen kleinen Armen.«
Wieder strich Caffery ihr über das Haar und starrte zur Decke hinauf. Natürlich war ihm das alles bereits klar gewesen, als Krishnamurthi vergeblich versucht hatte, den kleinen Körper gerade zu strecken. Als der Pathologe die kleinen Füße massiert hatte, um festzustellen, ob sie sich noch bewegen ließen. Als der Körper des Jungen völlig frei von Verwesungsstellen auf dem Seziertisch gelegen hatte. Hätte Rory nämlich das Stadium der Leichenstarre bereits hinter sich gehabt, dann wäre er bei diesem Wetter schon nicht mehr zu identifizieren gewesen. Doch die Leiche des Jungen hatte völlig intakt vor ihnen auf dem Tisch gelegen. Ja, die Leichenstarre hatte noch nicht einmal seine Füße erreicht, so kurz erst lag sein Tod zurück.
Caffery zog sie abermals an seine Brust. Er spürte ihre warmen Brüste unter ihrer hübschen weißen Bluse. Noch nie war er Marilyn so nahe
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